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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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zu?«
    »Hingucken vielleicht, aber nicht zuschauen«, sagte Walt. »Das ist ein gewaltiger Unterschied.«
    Ich fragte, worin der Unterschied bestehe, aber niemand gab eine Ant wort. Dann machte Walt mit den Fingern Drehbewegungen in der Luft, und ich setzte mich an den Tisch, inständig einen plötzlichen Gasrohrbruch, einen Kabelbrand oder sonst etwas herbeisehnend, womit sich die Katastrophe Strippoker abwenden ließe. Für den Rest der Gruppe war der Anblick eines nackten Jungen nichts anderes als der Anblick einer Lampe oder einer Badematte, so vertraut und uninteressant, dass man sich nicht groß darum kümmerte, aber für mich war es etwas anderes. Ein nackter Junge war das, wonach ich mich um alles in der Welt verzehrte, und wenn man gleichzeitig etwas anschaute und sich danach verzehrte, kamen gewisse Dinge hoch, ganz besonders ein Ding, das deutlich sichtbar abstand und einen für immer ruinieren konnte. »Tut mir Leid, das sagen zu müssen«, erklärte ich, »aber meine Religion verbietet mir, Strippoker zu spielen«
    »Klar doch«, sagte Walt. »Was bist du denn, Baptist?«
    »Griechisch-orthodox«
    »Gut, dann ist das absoluter Blödsinn, weil die Griechen das Kartenspiel erfunden haben«, sagte Walt.
    »Ich glaube, es waren die Ägypter«, warf Scott ein, der sich rasch als der helle Kopf der Gruppe zu erkennen gab.
    »Griechen, Ägypter, ist doch alles das Gleiche«, sagte Walt. »Egal, was dein großer Häuptling nicht weiß, wird ihm schon nicht wehtun, also Klap pe halten und mitspielen.«
    Er teilte die Karten aus, und ich betrachtete nacheinander ihre Gesichter, wobei ich jeden Makel besonders hervorhob und mir einredete, dass diese Jungen mich nicht leiden konnten Ich hoffte darauf, noch den letzten Fun ken Anziehung vertreiben zu k önnen, doch ist es mein Leben lang so gewesen, dass ich jemanden umso attraktiver finde, je mehr er mich zurückweist. Die einzige Chance war, sie hinzuhalten und jedes Blatt so lange auszudis kutieren, bis die Sonne aufging und Mrs. Winters mit ihren Plänen für ein umwerfendes Frühstück zu meiner Rettung kam.
    Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Hinhaltetaktik nicht funktionierte, schlich ich ins Badezimmer und vergewisserte mich, dass ich eine saubere Unterhose anhatte. Einen Ständer zu bekommen war eine schreckliche Vorstellung, aber im Falle eines Ständers in Verbindung mit einer Bremsspur konnte ich gleich das mit Ketchup beschmierte Messer nehmen und mich umbringen, bevor es zu spät war.
    »Seilst du da drinnen einen ab, oder was?«, rief Walt. »Nun mach schon, wir warten.«
    Normalerweise gab ich sofort auf, wenn ich mich mit irgendwem messen musste. Schon die kleinste Anstrengung signalisierte Ehrgeiz, und das machte einen nur noch verletzbarer. Wer beim Versuch zu gewinnen unter lag, war ein Verlierer, wohingegen jemand, der sich nichts daraus machte, bloß als Spinner galt – ein Titel, an den ich mich gewöhnt hatte: In diesem Fall allerdings war an Aufgeben nicht zu denken. Ich musste ein Spiel gewinnen, von dem ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was schier aussichtslos schien, bis ich bemerkte, dass es den anderen genauso erging. Selbst Scott hatte keinen genauen Plan, und schon bald stellte ich fest, dass ich den Spielverlauf zu meinen Gunsten manipulieren konnte, indem ich mich mit einem Flair von Kennerschaft umgab.
    »Ein Joker und eine Königin sind höher als die Pikvier und -fünf«, sagte ich, um mit meinen Karten Brad Clancy auszustechen.
    »Aber du hast einen Joker und eine Pikdrei.«
    »Schon, aber durch den Joker wird daraus eine Königin.«
    »Ich dachte, Poker verstößt gegen deine Religion«, sagte Walt.
    »Das heißt nicht, dass ich keine Ahnung davon habe. Die Griechen haben das Kartenspielen erfunden, denkt daran. Ich hab’s im Blut.«
    Als wir anfingen, zeigte die sternförmige Wanduhr halb drei. Eine Stunde später fehlte mir ein Schuh, Scott und Brad waren ihre Hemden los, und Walt und Dale hockten in Unterhose da. Wenn sich so gewinnen anfühlte, verstand ich nicht, warum ich nicht viel früher darauf gekommen war. Si cher in Führung, brachte ich die Jungen in Unterhose unter fadenscheinigen Vorwänden dazu, aufzustehen und durch den Raum zu laufen.
    »He, Walt, hast du das gehört? Ich glaube, da ist jemand in der Küche.«
    »Ich habe nichts gehört.«
    »Warum gehst du nicht kurz hoch und siehst nach? Wir wollen schließlich nicht überrascht werden.« Seine Unterhose war hinten ausgebeult und hing durch wie

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