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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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genügend frische Handtücher im Bad sind?«
    Leute wie sie konnten einen zum Weinen bringen So verknöchert sie auch waren, tat es mir dennoch Leid, als der Film zu Ende war und Mr. und Mrs. Winters Anstalten machten zu gehen. Es war erst zwei Uhr, aber sie waren zweifellos hundemüde. »Ich weiß nicht, wie ihr Jungs das macht«, sagte Walts Mutter und gähnte in den Ärmel ihres Bademantels. »Seit Laurens Geburt bin ich nicht mehr so lange auf gewesen.« Lauren war Walts Schwester, die zu früh zur Welt gekommen war und nur zwei Tage gelebt hatte. Es war passiert, bevor die Winters in unsere Straße gezogen waren, aber es war kein großes Geheimnis, und man brauchte auch nicht zusam menzuzucken, wenn der Name des Mädchens fiel. Das Baby war so schnell gestorben, dass es keine Fotos von ihm gab, aber es wurde trotzdem als volles Familienmitglied betrachtet. Es hatte einen eigenen Weihnachts strumpf in der Größe eines Fäustlings, und man feierte auch jedes Jahr seinen Geburtstag, was meine Mutter immer als besonders makaber empfand. »Hoffentlich sind wir nicht eingeladen«, sagte sie. »Ich meine, mein Gott, was soll man einem toten Baby denn schenken?«
    Nach meiner Vermutung hielt die Furcht vor einer weiteren Fehlgeburt Mrs. Winters davon ab, es noch einmal zu versuchen, was schade war, da man den Eindruck hatte, sie wünschte sich einen quirligen Haushalt. Man hatte den Eindruck, sie hatte eine Vorstellung von einem quirligen Haushalt, und die Pyjamaparty und das mit Ketchup beschmierte Messer waren ein Teil dieser Vorstellung. In ihrer Gegenwart hatten wir mitgespielt, doch so bald sie Gute Nacht gesagt hatte, war es damit offenbar vorbei.
    Sie und ihr Mann stapften schwerfällig die Treppe hoch, und als Walt sicher war, dass sie schliefen, stürzte er sich auf Dale Gummerson und brüllte: »Tittenzwirbeln!!« Brad Clancy warf sich ebenfalls auf ihn, und als sie fertig waren, zog Dale sein Hemd hoch und enthüllte zwei schrumpelige, dunkelrote Brustwarzen, die aussahen wie die übrig gebliebenen Pepperonistückchen in der Pizzabox.
    »Oh, mein Gott«, sagte ich und erkannte zu spät, dass ich mich wie ein Mädchen anstellte. Richtig wäre es gewesen, über Dales Missgeschick zu lachen, nicht die Hände aufgeregt vor dem Gesicht hin- und herzuschlagen und zu kreischen: »Was haben sie bloß mit deinen armen Nippeln gemacht! Sollen wir Eis zum Kühlen drauflegen?«
    Walt hakte sofort nach. »Hast du da gerade gesagt, du wolltest Dales Nippel mit Eis kühlen?«
    »Ah, also nicht ich... persönlich«, sagte ich »Ich meinte mehr allgemein. Als Gruppe. Oder Dale könnte es auch selbst tun, wenn er möchte.«
    Walts Augen wanderten von meinem Gesicht zu meiner Brust, und dann fiel die gesamte Pyjamaparty über mich her. Dale konnte seine Arme noch nicht wieder voll gebrauchen und setzte sich auf meine Beine, während Brad und Scott Marlboro mich auf den Teppich drückten. Sie zogen mein Hemd hoch, legten mir eine Hand über den Mund, und Walt packte meine Nippel und zerrte und drehte an ihnen, als handle es sich um zwei besonders fest sitzende Knebelbolzen. »Wer braucht hier Eis!«, sagte er. »Wer hält sich hier für die Erste-Hilfe-Schwester?« Früher einmal hatte ich Walt bedauert, doch jetzt, während mir vor Schmerz die Tränen in die Augen schossen, begriff ich, wie klug die kleine Lauren gewesen war, sich so rasch davonzumachen.
    Nachdem sie endlich von mir abgelassen hatten, ging ich nach oben und stellte mich ans Küchenfenster, die Arme vorsichtig vor der Brust verschränkt. Das Haus meiner Familie lag in einer Senke Man konnte es nicht von der Straße aus sehen, aber ich bemerkte dennoch den Lichtschein vom Ende der Einfahrt Es war verlockend, aber wenn ich jetzt ging, würde ich es ewig zu hören bekommen. Der Kleine hat geweint. Der Kleine musste nach Hause Die Schule würde unerträglich werden, also ging ich vom Fenster weg und zurück in den Keller, wo Walt gerade auf dem Couchtisch die Karten mischte. »Gerade noch rechtzeitig«, sagte er. »Setz dich.«
    Ich lie ß mich auf den Boden sinken und griff so lässig wie möglich nach einer Zeitschrift. »Ich mach mir nicht viel aus Kartenspielen. Wenn ihr nichts dagegen habt, schau ich lieber nur zu.«
    »Zuschauen ist für den Arsch«, sagte Walt. »Das hier ist Strippoker. Und da willst du Homo still daneben sitzen und zusehen, wie vier Jungs sich ausziehen?«
    Die Logik dieser Aussage war mir nicht ganz klar. »Sehen denn nicht al le

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