Nachtprogramm
Dachboden mit den reizenden Giebelfenstern, und aus dem Zimmer neben der Küche wurde eine kleine Schlafkammer.
Dann ging es wieder runter zu einer zweiten Inspektion der Toilettenschüssel, von dort hoch, um noch einmal die Küchenplatte in Augenschein zu nehmen, die, genauer besehen, auch bleiben konnte. Oder doch nicht? Es war nicht leicht, in Ruhe nachzudenken, mit den vielen Leuten im Haus, die einem die Treppe versperrten und große Reden schwangen. Eine Frau mit einem Disneyland-Sweatshirt stand in der Tür und machte Fotos von meinem Waschbecken, und ich stieß sie absichtlich am Arm, damit die Bilder verwackelten und nicht viel hermachten. »He Sie!«, sagte sie.
»Oh, ›He Sie‹ auch.« Ich war wie im Rausch, und das Einzige, was zählte, war diese Wohnung. Es hatte nichts mit der Berühmtheit der einstigen Bewohner oder der Geschichtsträchtigkeit des Hauses zu tun und war etwas anderes, als eine Wimper von Maria Callas oder einen Unterrock von J. Edgar Hoover zu besitzen. Natürlich würde ich erwähnen, dass ich nicht der erste Mensch in diesem Haus war, der ein Tagebuch schrieb, aber das war nicht der Grund, warum ich mich in es verliebt hatte. Auch wenn es ziemlich bekifft klingt, aber ich hatte das Gefühl, als wäre ich endlich zu Hause angekommen. Eine grausame Laune des Schicksals hatte mich auf gehalten, aber jetzt war ich zur ückgekehrt, um mein rechtmäßiges Erbe anzutreten. Es war das großartigste Gefühl der Welt: Aufregung und Erleich terung, verbunden mit der trunkenen Vorfreude, etwas zu erwerben und ganz nach seinen Wünschen einzurichten.
Ich kehrte erst in die Wirklichkeit zurück, als ich zufällig aus dem Hinterhaus in das angrenzende Gebäude trat, das heute Teil eines Museums ist. Über einem Schaukasten hing in großen, unübersehbaren Lettern ein Ausspruch Primo Levis an der Wand: »Eine Einzelperson wie Anne Frank erweckt mehr Anteilnahme als die Ungezählten, die wie sie gelitten haben, deren Bilder aber im Dunkeln geblieben sind. Vielleicht muss es so sein; müssten oder könnten wir die Leiden aller erleiden, könnten wir nicht leben.«
Er sagte nicht ausdrücklich, dass wir nicht in ihrem Haus leben konnten, aber das war zweifellos auch gemeint, und der Ausspruch vertrieb nachhaltig jeden Gedanken an Besitz. Das Tragische an Anne Franks Schicksal ist, dass sie es beinahe geschafft hätte, dass sie und ihre Schwester nur wenige Wochen vor der Befreiung ihres Lagers starben. Nachdem sie zwei Jahre in ihrem Versteck ausgeharrt hatten, hätten sie und ihre Familie es bis zum Ende des Kriegs schaffen können, wenn sie nicht ein Nachbar, dessen Name nie bekannt wurde, verraten hätte. Ich sah aus dem Fenster und fragte mich, was für ein Mensch so etwas tun konnte, und bemerkte plötzlich mein Spiegelbild in der Scheibe. Dahinter, schräg über den Hof, fiel der Blick auf eine ganz entzückende Wohnung.
Mach den Deckel drauf
In der Toilette des La Guardia Airports fiel mir ein Mann auf, der sein Mobiltelefon aus der Jackentasche nahm, in eine freie Kabine ging und eine Nummer w ählte. Ich nahm an, er wollte gleichzeitig pinkeln und telefonie ren, aber dann sah ich unter dem Türspalt seine heruntergelassene Hose. Er saß auf der Schüssel.
Die meisten Flughafengespräche beginnen mit geografischen Angaben. »Ich bin in Kansas City«, sagt man zum Beispiel. »Ich bin in Houston.« »Ich bin am Kennedy Airport.« Der Mann mit dem Mobiltelefon sagte auf die Frage nach seinem augenblicklichen Aufenthalt nur: »Ich bin am Flughafen, was glaubst du denn?«
Die Geräusche einer öffentlichen Toilette sind nicht unbedingt das, was man mit einem Flughafen in Verbindung bringt, jedenfalls nicht mit einem sicheren Flughafen, sodass mir die Bemerkung »Was glaubst du denn?« unfair vorkam. Die Person am anderen Ende dachte offenbar genauso. »Was soll das heißen, ›Welcher Flughafen?‹«, sagte der Mann. »Ich bin in La Guardia. Und jetzt gib mir bitte Marty.«
Kurz darauf war ich in Boston. Meine Schwester Tiffany holte mich in der Lobby meines Hotels ab und schlug vor, den Rest des Nachmittags bei ihr zu verbringen. Der Portier winkte ein Taxi, und als wir eingestiegen waren, erz ählte ich ihr die Geschichte von dem Mann in La Guardia. »Stell dir vor, der hat telefoniert und dabei auf dem Klo gesessen!«
Tiffany nimmt es sehr genau mit Regeln, ist aber ausgesprochen nachsichtig, wenn es um Kapitalverbrechen geht: Vergewaltigung, Mord, Kinderverwahrlosung – alles das
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