Nachtprogramm
folgte stattdessen ganz meinem Instinkt.
»Wir erbitten für diese Ehe so viel Segen, wie es... Sandkörner im Ozean gibt.«
Zuletzt packte ich Paul einfach an den Haaren und brüllte ihn an, sich flach aufs Wasser zu legen. Er erbrach einen Schwall Meerwasser, dann paddelten wir zurück zum Ufer und erreichten eine halbe Meile unterhalb des Hotels den Strand. Als wir nebeneinander im flachen Wasser lagen und nach Luft japsten, schien es mir der rechte Moment, meinem Gef ühl der Er leichterung und der brüderlichen Liebe Ausdruck zu verleihen.
»Hör zu«, sagte ich. »Ich will, dass du weißt ...«
»Ach, leck mich«, hatte Paul zu mir gesagt.
»Ja«, sagte Paul zu Kathy.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch erlebe«, schluchzte Lisa.
Mein Bruder k üsste die Braut, und die Esoterikerin blickte ins Publikum und nickte wissend, als wolle sie sagen: Ich wusste, dass es so kommen würde.
Kameras klickten, und ein pl ötzlicher Windstoß hob Kathys Schleier und Schleppe hoch in die Luft. Ihr überraschter Blick, die hastige Umarmung meines Bruders – auf den Fotos sah es nachher so aus, als sei sie geradewegs vom Himmel gefallen und im letzten Moment von jemandem aufgefangen worden, der sich ihr als der glücklichste Mann der Welt vorstellte.
Auf der anschließenden Feier tanzte mein Bruder den Wurm und warf sich der Länge nach auf den Boden, und die Schickeria sang: »Party, fat man, party.« Mein Vater hielt eine kurze, steife Ansprache auf den Rooster, bei der er die ganze Zeit ein Plastikhuhn durch die Luft schwenkte, und wieder klickten die Kameras.
»Ich fasse es nicht«, sagte ich. »Ein Plastikhuhn?«
Er verteidigte sich, dass er keinen Hahn aus Plastik auftreiben konnte, und ich erklärte, dies sei noch nicht das Schlimmste. »Nicht jeder hat das Talent, frei zu sprechen«, sagte ich. »Wo waren deine Notizen? Warum bist du nicht zu mir gekommen?«
Mein Zorn rührte vor allem daher, weil ich die große Rede hatte halten wollen. Seit Pauls Kindertagen arbeitete ich daran, aber niemand hatte mich gefragt. Jetzt würde ich bis zur Beerdigung warten müssen.
Um ein Uhr nachts lief die Saalmiete aus, und wir beschlossen, die Feier an den Strand zu verlegen. Kathy ging sich umziehen, und Paul und ich nahmen die Hunde mit auf einen kurzen Spaziergang auf dem Rasen vor dem Atlantis. Zum ersten Mal während der Hochzeit waren wir unter uns, und ich wollte einen denkwürdigen Augenblick daraus machen. Das ent scheidende Wort hier ist wollte, weil man damit von vorneherein alles ver masselt. Gerade wenn man besonders feierlich sein will, redet man nur dummes Zeug, an das man sich nachher zwar erinnert, aber ganz anders als beabsichtigt. Mein Bruder hatte mich ein Leben lang vor solchen Momenten bewahrt, und er würde es auch dieses Mal tun.
Es fing leicht an zu nieseln, und gerade als ich mich räusperte, schiss Venus einen Haufen erdnussgroßer Kötel auf den Rasen.
»Willst du das nicht wegmachen?«, fragte ich.
Paul zeigte auf den Boden und pfiff die D änische Dogge herbei, die über den Rasen gesprungen kam und den Haufen mit einem Bissen verschlang.
»Das war ein Versehen, oder?«, sagte ich.
»Von wegen Versehen. Ich hab die Töle darauf abgerichtet«, sagte er. »Manchmal hält er sogar die Schnauze an ihren Arsch und schluckt das Zeug frisch vom Hahn.«
Ich stellte mir meinen Bruder vor, wie er im Garten steht und seinem Hund beibringt, Scheiße zu fressen, und ich wusste, dass ich dieses Bild mein Lebtag mit mir herumtragen würde. Die Tränen und Gespräche unter Brüdern konnte man vergessen, das hier war der Stoff, aus dem Erinnerun gen sind.
Die Dänische Dogge leckte sich die Lippen und stöberte im Gras nach mehr. »Was wolltest du sagen?«, fragte Paul.
»Ach, nichts.«
Von der Kuppe einer für Strandbesucher gesperrten Düne aus hallte das Kriegsgeheul der Schickeria herüber. Kathy rief von der Tür ihres Zimmers, und begleitet von seinen Hunden, stapfte Paul los, eine Liebe schenkend, die man nicht unter einem Baum findet, nicht unter einer Muschel und auch nicht in einer Schatzkiste, die vor vielen hundert Jahren auf einer der geschichtsträchtigen Inseln hier vor der Küste vergraben wurde.
Eigentum
»Die richtige Wohnung zu finden ist fast so, wie sich zu verlieben«, erklärte uns die Immobilienmaklerin. Sie sah aus wie eine flotte Großmutter mit strenger Designersonnenbrille. Sie hatte blond gefärbte Haare, trug schwarze Strümpfe und einen kurzen Schal,
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