Nachtprogramm
genauso glücklich zu sein wie Hugh und seine Brautjungfer, die Großmutter. Wir trafen uns mit einem Mann von der Bank und einem Notar, den wir mit Master LaBruce ansprachen. Ich hoffte, einer von beiden würde der Geschichte ein Ende bereiten – uns das Darlehn verweigern, irgendeine versteckte Klausel im Testament ausgraben –, aber es verlief alles nach Plan. Unser Master leitete den Vertragsabschluss, und einen Tag später standen die Handwerker vor der Tür. Selbst nach Beginn der Renovierungsarbeiten stöberte ich weiter in den Immobilienanzeigen, in der Hoffnung, doch noch was Besseres zu entdecken. Ich machte mir nicht nur Sorgen, wir könnten das falsche Haus gekauft haben, sondern ebenso eins in der falschen Gegend, in der falschen Stadt und im falschen Land. »Das sind die Zweifel nach dem Kauf«, sagte die Großmutter. »Aber seien Sie beruhigt, das ist ganz natürlich.« Natürlich. Ein seltsames Wort aus dem Mund einer Achtzigjährigen ohne eine einzige Falte im Gesicht und mit Haaren in der Farbe eines amerikanischen Schulbusses.
Drei Monate nach unserem Einzug machten wir einen Ausflug nach Amsterdam, einer Stadt, die oft mit dem Satz angepriesen wird: »Da kann man so herrlich versumpfen.« Ich stellte mir neonbunte Brücken und Kanä le mit dem Wasser aus Haschpfeifen vor, aber in Wirklichkeit gleicht die Stadt eher einem Bruegel-Gemälde als einem Mr.-Natural-Comic. Wir wa ren begeistert von den schmalen Backsteinhäusern und dem feinen Rascheln von Fahrradreifen auf frisch gefallenem Laub. Unser Hotel ging auf die Herengracht, und schon beim Einchecken beschlich mich das Gefühl, dass wir einen furchtbaren Fehler gemacht hatten. Wie konnten wir uns in Paris niederlassen, ohne vorher die Möglichkeiten von Amsterdam zu erkunden? Wo hatten wir unseren Verstand gelassen?
An unserem ersten Nachmittag machten wir einen Spaziergang und kamen am Anne-Frank-Haus vorbei, von dem ich einigermaßen überrascht war. Ich hatte mir das Haus immer als eine schummerige Absteige vorgestellt, dabei ist es ein sehr hübsches Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert gleich an einem Kanal. Die Straße ist mit Bäumen gesäumt, und die Einkaufsmöglichkeiten und die Anbindung ans öffentliche Verkehrs netz sind bestens – kurzum, ein Haus in bester Lage. Durch unsere monate lange Häusersuche hatte ich mir einen ganz speziellen Blick angewöhnt, und als ich die Leute vor dem Haus Schlange stehen sah, war mein erster Gedanke nicht Anstehen für Eintrittskarten, sondern Besichtigungstermin!
Durch den ber ühmten Drehschrank gelangten wir in das Hinterhaus, und als wir über die Schwelle schritten, spürte ich, was die Großmutter mit einem Blitzschlag verglichen hatte, nämlich die absolute Gewissheit, dass dies die richtige Wohnung für mich war. Dass sie mir gehören würde. Das komplette Gebäude wäre zu unpraktisch und viel zu teuer, aber der Teil, in dem Anne Frank und ihre Familie gelebt hatten, das dreistöckige Hinterhaus, besaß genau die richtige Größe und war hinreißend, was einem natürlich nie jemand sagen würde. In sämtlichen Theaterstücken und Filmen macht es immer einen tristen, altbackenen Eindruck, doch wenn man nur die Vorhänge von den Fenstern wegzieht, ist der erste Gedanke nicht »trotz allem glaube ich immer noch an das Gute im Menschen«, sondern »wen muss ich aus dem Weg räumen, um an diese Wohnung zu kommen?«. Das soll nicht heißen, dass mir nicht die eine oder andere Veränderung vorgeschwebt hätte, aber der Grundriss war da und klar zu erkennen, da man sämtliche Möbelstücke und privaten Gegenstände entfernt hatte, die einen Raum in der Regel deutlich kleiner wirken lassen.
Hugh blieb stehen, um die Bilder der Filmstars zu betrachten, die Anne auf die Wand ihres Zimmers geklebt hatte – eine Wand, die ich persönlich eingerissen hätte –, während ich gleich weiter ins Badezimmer eilte und mir das Wasserklosett mit der Schüssel aus Delfter Porzellan ansah, die tatsächlich so aussah wie eine große Suppenschüssel. Danach ging es die Treppe hoch in die Küche, ein Raum mit zwei Fenstern, in dem gekocht und gegessen wurde. Die Küchenplatte müsste raus, und es müssten auch komplett neue Installationen verlegt werden, aber als Erstes würde ich den Holzofen rauswerfen und den alten Kamin wieder flott machen. »Das ist der Blickfang dieses Raums«, hörte ich die Großmutter sagen. Das Zimmer neben der Küche schwebte mir als Arbeitszimmer vor, doch dann sah ich den
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