Nachtprogramm
Kind auseinander nehmen, in der festen Ab sicht, es nachher wieder zusammenzusetzen, doch dann käme etwas anderes dazwischen – ein Karatefilm oder die Chance, sich zwei Dutzend Tacos einzuverleiben –, und die Einzelteile würden liegen bleiben.
Weder meine Mutter noch ich hätten uns träumen lassen, dass ausgerechnet der Knabe, der auf dem Weg zu unserem Ferienhaus lauter Fla schen zerschlug, als Erster und Einziger der Familie ein Kind haben würde. Als es so weit war, war meine Mutter lange tot, und meine Schwestern, mein Vater und ich mussten den Schreck alleine verwinden. »Es ging so schnell!«, sagten alle, als wäre Paul so wie wir und würde jeden Schritt zehn Jahre lang ausdiskutieren. Aber er ist nicht wie wir, und wenn man mit ihm übers Kinderkriegen spricht, beendet er die Diskussion mit »Lass die Hose runter«. Kathy tat das, und schon kurze Zeit nach seiner Hochzeit rief Paul mich an und verkündete, seine Frau sei schwanger.
»Seit wann?«, fragte ich.
Er nahm den Hörer vom Mund und rief ins Nebenzimmer: »Mama, wie spät ist es?«
»Du sagst Mama zu ihr?«
Er rief noch einmal, und ich erklärte ihm, es wäre vier Uhr nachmittags in Paris, also müsste es in Raleigh zehn Uhr morgens sein. »Wie lange ist sie schwanger?«
Er rechnete nach, dass es ungefähr neun Stunden sein müssten. Sie hatten einen Schwangerschaftstest aus der Apotheke gemacht. Am Vorabend war das Ergebnis negativ. Aber heute Morgen war es positiv, und aus Kathy war Mama geworden, was sich später zu Big Mama und zuletzt, aus unerfindlichen Gründen, zu Mama D entwickeln sollte.
Als mein Freund Andy und seine Frau erfuhren, dass sie ein Kind erwar teten, behielten sie es acht Wochen lang für sich. Wie ich inzwischen weiß, machen das die meisten. Der Embryo war noch winzig – kaum mehr als ein lose zusammengewürfelter Zellklumpen –, und wie bei allem in einem so frühen Stadium bestand die Gefahr, dass er sich wieder auflösen würde. Eine Fehlgeburt machte aus werdenden Eltern Objekte des Mitleids, weshalb man nicht zu früh damit herausrücken wollte.
»Ich will dich nicht entmutigen«, sagte ich zu Paul, »aber vielleicht solltet ihr beiden das noch eine Weile für euch behalten«
Er hustete, und ich begriff, dass er und Kathy bereits seit Stunden am Te lefon hingen und ich vermutlich der Letzte war, der es erfuhr.
Was ich für vernünftige Vorsicht hielt, war in seinen Augen bloß Schwarzseherei.
»Wenn´s sein muss, kette ich es an, aber von meinen Babys flutscht keins aus dem Mutterleib«, sagte er.
Nachdem er aufgelegt hatte, ging er los und kaufte einen Stillsessel, eine Wickelkommode und ein Lätzchen mit der Aufschrift – PAPA IST DER BESTE. Ich dachte an die Kinder, die man manchmal bei Demonstrationen sieht. AUCH WIR BABYS WOLLEN FRIEDEN haben sie auf ihren T-Shirts stehen oder, mein persönlicher Favorit, WIE GUT, DASS MEINE MAMI MICH NICHT ABGETRIEBEN HAT.
»Willst du nicht lieber warten, bis das Baby groß genug ist, um für sich selbst zu sprechen?«, fragte ich. »Oder zumindest, bis es einen richtigen Hals hat. Was willst du denn jetzt mit einem Lätzchen?«
Bei seinem nächsten Anruf stand er gerade an der Kasse eines Spielwarengeschäfts und kaufte eine Videobox mit dem Titel Baby Einstein. »Egal,
ob ’s ein Junge oder ein Mädchen wird, auf jeden Fall wird das kleine Mist stück Grips im Kopf haben.«
»Na, von den Eltern kommt der sicher nicht«, sagte ich. »Kathy war noch nicht mal beim Arzt, und du kaufst schon Videos?«
»Und ein Kinderbettchen, und ich sag dir was, das Zeug ist scheißteuer.«
»Mit dem Mobiltelefon am Mittwochmorgen um elf eben in Frankreich anzurufen ist auch nicht gerade billig«, sagte ich, obwohl ich mir den Hinweis auch hätte schenken können. Mein Bruder kann ohne Telefon nicht leben. Gehört man zu seinen Feinden, ruft er einmal am Tag an, aber gehört man zur Familie und versteht sich halbwegs gut mit ihm, kann man sich darauf einstellen, etwa im Achtstundenrhythmus von ihm zu hören. Zu dem Geld, das er für Telefonate mit uns ausgibt, kommt noch das Geld, das meine Schwestern und ich ausgeben, um uns gegenseitig anzurufen und darüber zu jammern, wie oft unser Bruder uns anruft.
Als die Schwangerschaft offiziell wurde, wurden seine Anrufe noch h äu figer. »Großer Tag, Hoss. Kathy macht heute den Corky-Test.« Corky war eine Figur aus einer Fernsehserie der frühen Neunziger und wurde von einem jungen Mann mit Downsyndrom gespielt. Meine
Weitere Kostenlose Bücher