Nachtprogramm
bestimmt nicht.
»Ich bin sicher, es war kein echtes Gummi«, sagte Hugh. »Vermutlich eine Art Plastik.«
Die Gäste stimmten ihm zu, aber sie hatten meinen Chef nicht gesehen und nicht mitbekommen, wie er sich unbekümmert einen Bleistift zwischen die künstlichen Finger steckte. Eine Plastikhand hätte nie so leicht nachge geben. Eine Plastikhand hätte ein anderes Geräusch auf der Tischplatte ge macht. »Ich weiß, was ich gesehen habe«, sagte ich. »Es war Gummi, und es roch wie ein Radiergummi.«
Wenn jemand mir erzählt hätte, die Hand seines Bosses würde wie ein Radiergummi riechen, hätte ich den Mund gehalten und es gut sein lassen, aber Hugh hatte einen seiner schlechten Tage. »Wie, der Typ hat dich an seiner Hand schnuppern lassen?«
»Äh, nein«, sagte ich. »Nicht direkt.«
»Also denn, es war Plastik.«
»Moment mal«, sagte ich, »alles, was einem nicht unmittelbar unter die Nase gehalten wird, ist also Plastik? Ist das jetzt die neue Regel?« Einer unserer Vorsätze zum neuen Jahr lautete, sich vor anderen Leuten nicht zu streiten, aber er machte es einem wirklich schwer. »Die Hand war aus Gummi«, sagte ich. »Hartgummi, wie ein Autoreifen.«
»Gab’s auch ein Ventil zum Aufpumpen?« Die Gäste lachten über Hughs kleinen Scherz, und ich dachte mir meinen Teil. Eine Hand zum Aufpumpen ist albern und unsinnig. Sahen sie das nicht?
»Also bitte«, sagte ich, »ich habe das nicht irgendwo im Schaufenster gesehen. Ich war ganz nahe dran. Im gleichen Raum.«
»Schön«, sagte Hugh. »Was noch?«
»Wie, ›was noch‹?«
»Dein Sozialdienst. Dein Boss hatte also eine künstliche Hand – was noch?«
Ich muss dazu sagen, dass es nicht einfach ist, in Paris freiwillige Sozialarbeit zu machen. Die Regierung bezahlt lieber jede Art von T ätigkeit, ganz besonders in einem Wahljahr, und als ich bei der Caritaszentrale nachfragte, konnten sie mir nur einen Eintagesjob anbieten, der darin bestand, Blinde beim Gang durch eine der Pariser Metrostationen zu begleiten. Das Hilfsangebot wurde von meinem Chef geleitet, der in einem winzigen, fensterlosen Raum gleich neben dem Fahrkartenschalter sein Büro eingerichtet hatte. Es war nicht meine Schuld, dass keine Blinden aufgekreuzt waren. »Jetzt hör mal gut zu«, sagte ich. »Ich habe sechs Stunden unbeachtet neben einem Mann mit einer Gummihand gesessen. Und da fragst du, ›was noch‹? Was brauche ich denn, bitte schön, noch?«
Unsere Bekannten blickten irritiert, und mir ging auf, dass ich Englisch gesprochen hatte.
»Auf Französisch«, sagte Hugh. »Sag es noch einmal auf Französisch.«
Es war eine der Situationen, in der einem der Unterschied zwischen sprechen und sich ausdrücken deutlich wird. Ich kannte die Vokabeln – Blinde, Wahljahr, Lagerraum –, aber selbst verbunden durch Verben und Pronomen ergaben sie nicht das, was ich brauchte. Auf Englisch konnte ich mit meinen Sätzen problemlos eine doppelte Aussage vermitteln, nämlich dass ich mich um eine Sozialarbeit beworben hatte und dass Hugh es be reuen würde, nichts von der einzig wirklich interessanten Geschichte hören zu wollen, die ich seit unserem Umzug nach Paris erlebt hatte.
»Vergiss es«, sagte ich.
»Wie du meinst.«
Ich stand vom Tisch auf, um mir ein Glas Wasser zu holen, und als ich wiederkam, redete Hugh über den Klempner, Monsieur DiBasio, der bei uns im Bad ein neues Waschbecken installiert hatte.
»Er hat nur einen Arm«, erklärte ich unseren Gästen.
»Nein, hat er nicht«, sagte Hugh. »Er hat zwei.«
»Ja, aber ein Arm ist taub.«
»Okay, aber trotzdem hat er ihn«, sagte Hugh. »Er ist da, und er füllt einen Ärmel aus.«
Er macht das ständig, mir vor anderen Leuten zu widersprechen. Also machte auch ich, was ich immer tue, und stellte ihm eine Frage, ohne ihm die Möglichkeit zur Antwort zu geben.
»Was bedeutet denn Arm für dich?«, fragte ich. »Wenn du damit das lange, behaarte Ding meinst, das von deiner Schulter baumelt, okay, davon hat er zwei, aber wenn du von einem langen, behaarten Ding sprichst, das sich bewegt und tatsächlich auch etwas macht, hat er nur einen, hab ich Recht? Ich muss es schließlich wissen. Ich bin derjenige gewesen, der das verdammte Waschbecken drei Stockwerke hoch geschleppt hat. Ich, nicht du.«
Die G äste machten einen leicht betretenen Eindruck, aber das kümmerte mich nicht. Technisch gesehen, da hatte Hugh Recht, hatte der Klempner zwei Arme, aber wir waren hier nicht im Gerichtssaal, und man
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