Nachtruf (German Edition)
Urbild, Rain. Sie war schon ein Goth, bevor es das Wort überhaupt gab. Zu dumm, dass sie starb, als du noch klein warst. Und dann noch auf so brutale Art und Weise. Andererseits hat ihr Tod dich schon ein bisschen berühmt gemacht, oder?“
Rain wollte ihm am liebsten sagen, dass er zur Hölle fahren solle. Doch sie musste darauf achten, ihn weitersprechen zu lassen.
„Nicht alle Goths stehen auf Blut“, betonte sie.
„Nicht alle“, stimmte er zu. „Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Blut , Rain. Erregt dich die Vorstellung, für deinen Liebhaber zu bluten?“
Die Spannung in seiner Stimme ließ Rains Hände zittern.
„Nein, Dante. Das tut es nicht.“
„Bist du sicher?“ Er redete unbeirrt weiter. „Blutspiele sind eine erotische Forschungsreise, bei der sich die Grenzen zwischen Schmerz und Lust verwischen. In Anbetracht deiner Abstammung hätte ich dich sexuell für viel aufgeschlossener gehalten. Desirees sexuelle Aktivitäten waren … na ja … ziemlich legendär.“
„Was Sie da beschreiben, klingt nicht nur schmerzhaft, sondern auch gefährlich. Haben Sie mal über AIDS oder Hepatitis nachgedacht?“
„Das sind rein sterbliche Befürchtungen.“
Rain war nicht in der Lage, ihre Ungläubigkeit zu verbergen. „Wollen Sie damit etwa andeuten, Sie wären unsterblich?“
„Blut ist Lebenskraft. In alten Kulturen wusste man das. In vielerlei Hinsicht waren die Menschen damals viel klüger als wir heutzutage.“ Er sprach, als ob er einem Kind etwas erklärte. „Blut bedeutet das Versprechen ewiger Jugend.“
„Und ich dachte, man müsste dafür zu einem Schönheitschirurgen gehen.“
Es herrschte Schweigen. Einen Moment lang dachte Rain, Dante hätte aufgelegt. Doch als er wieder sprach, hatte sich sein Ton geändert. Er klang irgendwie derb, bedrohlich. „Es kann sehr gefährlich sein, sich über mich lustig zu machen, Kleines. Es wäre mir ein großes Vergnügen, dich dafür zu bestrafen.“
Er kann Ihnen über den Äther nicht zu nahekommen. Rain wiederholte Trevors Satz in ihrem Kopf wie ein Mantra.
„Ich meinte, was ich gestern Abend sagte“, flüsterte er. „Du wärst entzückend, gefesselt und für mich blutend.“
„Sie sind krank.“ Ihre Bemerkung verhallte vom Anrufer ungehört. Dante war verschwunden. David schaltete einen Werbeblock, und ein heiterer Werbesong für die Clean-Cajun-Autowaschanlage tönte über die Sprechanlage. Rain fühlte sich, als ob ihr Mut sie endgültig verlassen hätte. Sie schaltete die Lautsprecher in der Sendekabine aus und unterbrach damit den absurd fröhlichen Liedtext über saubere, glänzende Autos.
„Ich glaube, ich habe ihn verärgert“, sagte sie, als Trevor ein paar Minuten später in der Sendekabine erschien.
„Sie haben das prima gemacht“, versicherte er. „Wir haben den Standort des Anrufers auf einen Radius von fünf Blocks eingegrenzt. Der Anruf kam von irgendwo auf der North Rampart, in der Nähe des Armstrong Parks. Ich habe die örtliche Polizei informiert – sie haben Streifenwagen losgeschickt.“
„Er war also nicht im Quarter?“
„Nein.“ Sein Handy klingelte, Trevor ging ran, und sie hörte, wie er eine Beschreibung durchgab – männlicher Weißer, Ende dreißig bis Mitte vierzig, sehr gebildet. Das Bild erschien ihr sehr sachlich, nüchtern, als ob Dante ihr kahl werdender Optiker oder der etwas lebensfremde Steuerberater, der sich um ihre Finanzen kümmerte, sein könnte. Es passte kaum zu dem Freak, mit dem sie sich während der Sendung unterhalten hatte – einem Mann, der ganz offensichtlich unter einem psychotischen Realitätsverlust litt. „Sagen Sie den Einsatzkräften, sie sollen Passanten befragen und sehen, ob irgendjemand dort in der Gegend einem Mann begegnet ist, auf den die Beschreibung passt“, wies Trevor an. „Das ist eine Gegend, in der vorwiegend Schwarze leben. Ein männlicher Weißer, vielleicht in einer luxuriösen Limousine oder in einem Geländewagen, müsste aufgefallen sein.“ Er klappte das Telefon zu und ging zu dem Schreibtisch, an dem Rain saß. Er ließ sich auf einen Stuhl neben ihr sinken und suchte ihren Blick. „Ich muss los, vor Ort sein. Meinen Sie, Sie kommen klar?“
„Wir werden das noch mal machen müssen, oder?“
„Das ist der Kerl, unser Täter. Ich bin mir jetzt noch sicherer. Er wird wieder anrufen.“
Ein Schauder durchfuhr sie. Unwillkürlich griff sie nach seiner Hand. „Sie haben eine Beschreibung des Killers rausgegeben. Hat
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