Nachtruf (German Edition)
indem er den Medien ein paar Tipps gab. „Wie viel weiß die Presse schon?“
Sawyer schirmte seine Augen gegen die hellen Lampen ab, die um den Tatort herum positioniert waren. „Ein Reporter hat nach einer möglichen Verbindung zwischen dem Mord von heute Nacht und dem von letzter Woche gefragt. Ein junges Mädchen in einem verfallenen Haus an der Tchoupitoulas? Die Fälle ähneln sich.“
Trevor blickte auf einen Abfluss in der Mitte des Betonfußbodens. Das Metallgitter war verrostet. Von irgendwo draußen hörte er Männer lachen. Die Reaktion auf einen derben Scherz, den einer der Polizisten erzählt hat, vermutete Trevor.
„Kümmerst du dich bei der VCU noch immer um Serienmörder?“, wollte Sawyer wissen.
„Ich folge diesem Kerl jetzt seit eineinhalb Jahren von Bundesstaat zu Bundesstaat. New Orleans ist sein aktueller Aufenthaltsort.“
Oder seine Endstation.
„Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht freue, dich zu sehen,Trev.“ Sawyer fuhr sich mit einer Hand durch das weizenblonde Haar. „Aber, verdammt, du bist wie ein Ü-Wagen vom Wetterkanal, der mitten in der Hurrikan-Saison auftaucht. Man weiß sofort, dass das nichts Gutes bedeutet.“
Heather Credo saß in Rains Büro und kratzte missmutig an dem dunklen Lack auf ihren Fingernägeln. Sie trug eine schwarze Jeans und ein bauchfreies Top. Auf ihren Armen zeigten sich verblasste Narben. Daneben waren neue, frischere Wunden zu erkennen, die schmerzhaft aussehende, waagerechte Streifen auf ihrer Haut bildeten.
„Ich bin ein Ritzer.“ Heathers Ton war trotzig, als sie Rain anblickte, die in dem Sessel neben ihr saß. „Scheiße, na und?“
Rain zeigte keine Reaktion auf den Ausbruch des Mädchens. „Deine Eltern machen sich Sorgen darüber, warum du dir so was antust. Deshalb haben sie dich zu mir geschickt. Sie dachten, vielleicht möchtest du darüber reden, was dich beschäftigt.“
Heather warf ihr dunkles Haar über die Schultern. Sie verzog ihren herzförmigen Mund. „Mom hat bloß Angst, meine Arme könnten bei der Hochzeit meiner Schwester im September völlig mit Narben übersät sein.“
„Macht es dir denn etwas aus, wie du auf der Hochzeit deiner Schwester aussiehst?“
„Ich bin hässlich. Wen kümmert es, ob meine Arme vernarbt sind? Sie machen sich nur Sorgen darüber, dass ich sie blamieren und der perfekten Laura den perfekten Tag verderben könnte.“
„Du bist nicht hässlich, Heather.“ Das Mädchen war groß und gertenschlank, und hinter der verkniffenen, mürrischen Miene zeigten sich feine Gesichtszüge und große braune Augen. „Und ich glaube, du weißt das auch.“ Als Heather mit den Schultern zuckte, setzte Rain hinzu: „Hast du vielleicht eine Depression? Oftmals geht Selbstverletzung damit einher, dass man sich traurig fühlt oder wegen irgendetwas ängstlich ist.“
Rain musterte den Teenager. Das Ritzen war oft ein Weg, mit Gefühlen fertigzuwerden, die sonst nicht so leicht ausgedrücktwerden konnten. Heather hatte vor Kurzem eine Menge durchgemacht. Dazu gehörte auch die Scheidung ihrer Eltern, die durch eine sehr öffentliche Affäre des Vaters mit einer wesentlich jüngeren Frau ausgelöst worden war.
„Alles, was du sagst, bleibt unter uns.“
Heather biss sich auf die Unterlippe. „Und was, wenn ich nichts sagen möchte?“
„Das ist auch okay.“ Für eine Weile herrschte Schweigen. Heather wippte mit dem Knie und sah aus dem Fenster in den Garten des Hauses. Ihr Atem ging stoßweise. Rain beugte sich vor und legte eine Hand auf die des Mädchens. Als Heather nicht zurückzuckte, empfand Rain es wie einen kleinen Sieg.
Die Sitzung war kein Durchbruch gewesen, doch Rain hatte ihr Möglichstes getan, um Heather zum Sprechen zu bewegen. Ihre vorherige Sitzung hatten sie damit verbracht, dass das Mädchen auf einen Punkt an der Wand gestarrt und Rains Fragen, wenn überhaupt, nur sehr knapp beantwortet hatte. Dieses Mal hatte Heather auch noch andere Emotionen als Ärger gezeigt. Dennoch hatte sie immer noch nicht viel davon preisgegeben, was in ihr vorging. Rain dachte an die selbst zugefügten Wunden des Mädchens. Ihr wurde klar, wie tief verwurzelt der Schmerz in Heather war. Immerhin hatte sie begonnen, so etwas wie Vertrauen zu Rain aufzubauen. Es war ein langsamer Prozess, aber irgendwann würde sich Heather ihr sicherlich öffnen.
Sie tippte ihre Notizen in den Computer, als das Telefon klingelte.
„Rain Sommers“, sagte sie in den Hörer. Sie hielt kurz inne, um den
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