Nachtruf (German Edition)
drängte Rain. „Ohne Anschuldigungen und Verurteilungen. Sie sind sein Vater, und es ist wichtig, dass Sie den Kontakt zueinander aufrechterhalten und miteinander reden können.“
„Mit mir zu reden ist im Augenblick das Letzte, was er will.“
Sie beugte sich über den Tisch und berührte seine Hand. „Geben Sie ihm zu verstehen, dass Sie da sind, wenn er Sie braucht.“
„Ja, ich werde es versuchen.“
Ihr Blick wanderte zum Eingang des Innenhofs. Der Oberkellner führte soeben Alex zu ihrem Tisch. Er winkte ihr mit einem schuldbewussten Grinsen zu. Dr. Carteris schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
„Ihr Gast ist da. Ich habe schon viel zu viel von Ihrer Zeit beansprucht. Ich danke Ihnen. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir Informationen über Entzugsprogramme zukommen lassen könnten.“
„Sicher. Ich tue, was immer ich tun kann, um Ihnen zu helfen.“
Er grüßte Alex freundlich, als sie aneinander vorbeigingen.
„Sieh mal einer an“, neckte Alex sie, während er sich auf dem Stuhl niederließ. „Ich komme nur ein paar Minuten zu spät, und schon gabelst du dir mitten am Nachmittag irgendwelche Männer auf.“
„Das ist der Vater eines meiner Patienten.“
„Er trug aber keinen Ehering.“ Mit einer schwungvollen Geste faltete Alex seine Serviette auseinander. „Und ich dachte, du hättest nur Augen für Trevor Rivette.“ Rain spürte, wie ihr die Farbe ins Gesicht stieg – was nur dazu führte, dass Alex’Grinsen noch breiter wurde. „Oje. Du magst Brians Bruder wirklich , oder?“
Sie brachte ein kleines Lachen zustande, auch wenn sie seinem neugierigen Blick auswich. „Wir sind doch nicht in der Grundschule, Alex. Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Ihm einen Brief schreiben?“
„Das hängt davon ab, was in dem Brief steht“, antwortete er grinsend. Dann blickte er auf Rains Getränk. „Bitte sag mir, dass das ein Long Island ist.“
„Tut mir leid. Nur normaler Eistee. Ich habe in ein paar Stunden noch eine Sitzung mit einem Patienten und heute Abend die Radiosendung.“
„Spielverderberin.“ Mit einem verärgerten Seufzen winkte Alex den Kellner herbei.
Die Gedanken an Oliver plagten Rain noch, nachdem sie das Restaurant verlassen hatte und mit dem St. Charles Streetcar nach Hause gefahren war. Das Marihuana, das Dr. Carteris gefunden hatte, überraschte sie kaum. Das Crystal Meth hingegen bestürzte sie. Oliver nahm viel härtere Drogen, als sie vermutet hätte.
Seine nächste Therapiesitzung sollte am nächsten Morgen stattfinden. Rain fragte sich, ob er nach dem Ausbruch in der vergangenen Woche überhaupt auftauchen würde. Wenn er einen Termin verpasste, hatte sie keine andere Wahl, als seine Abwesenheit dem Gericht zu melden. Hoffentlich kam es nicht so weit, denn Oliver würde ein derartiges Vorgehen als Verrat auffassen. Vertrauen war der Schlüssel zu ihren Patientenbeziehungen – eigentlich zu allen Beziehungen in ihrem Leben, wie ihr klar wurde. War das Vertrauen erst einmal erschüttert, war es fast unmöglich, es zurückzugewinnen. Was ihre Gedanken zu David brachte. Seit sie ihm gesagt hatte, dass sie ihren Vertrag nicht verlängern würde, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Aber heute Abend im Radiosender musste sie ihm gegenübertreten. Während Rain die Stufen zur Veranda hinaufging,dachte sie darüber nach, dass dieser Schritt unumgänglich war. Höflich nickte sie den Officers in dem Streifenwagen auf der anderen Straßenseite zu. Die Anwesenheit der Polizisten war für sie inzwischen genauso unabänderlich wie das feuchte Klima in New Orleans.
Ihr Handy begann zu klingeln, als sie ihren Zugangscode in die Alarmanlage eintippte. Sie zog das Gerät aus ihrer Handtasche und nahm den Anruf entgegen.
„Sie haben mit ihm geredet.“
„Oliver?“
„Ich habe Sie gesehen . Sie haben ihn berührt.“
Rain spürte, wie eine nervöse Unruhe sie ergriff. Augenscheinlich hatte er sie von irgendwo im Restaurant ausspioniert.
„Es ist nicht so, wie du denkst. Wir haben uns zufällig getroffen“, stellte sie klar. Als er nicht antwortete, setzte sie hinzu: „Ich habe ihm nichts aus unseren Sitzungen erzählt. Ich habe mir nur angehört, was er mir zu sagen hatte. Er macht sich große Sorgen um dich.“ Olivers verbitterten Fluch ignorierte sie. Ihr Wunsch, ihn irgendwie zu erreichen, überwand die seltsame Beklommenheit, die sie empfand. „Ich bin bei mir zu Hause, Oliver. Möchtest du reden? Ich habe heute
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