Nachtruf (German Edition)
herüberwehte.
Trevor wusste nicht, wann genau er seine Waffe gezogen hatte, aber als er hörte, dass jemand näher kam, wirbelte er mit der Waffe im Anschlag herum. Brian wich einen Schritt zurück und hob die Hände.
„Hey! Immer mit der Ruhe, Trev! Was ist los?“
Trevor senkte die Waffe und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. „Du hast ihn gesehen.“
Brians Gesicht war gerötet. Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. „Ich bin den ganzen Weg vom Park hinter dir hergerannt. Ich habe niemanden gesehen.“
„Er ist hier hereingelaufen!“
Brian sah ihn besorgt an. „Trevor, hier ist niemand.“
Trevor blickte sich wieder um. Er weigerte sich, zu glauben, dass er sich das alles nur eingebildet haben sollte.
16. KAPITEL
Im Innenhof des Jezzabel’s war es dank der ausladenden Kronen der Schatten spendenden Bäume und mehrerer Außenventilatoren, die an den Mauern aufgestellt worden waren, angenehm kühl. Rain folgte dem Oberkellner zu einem Tisch neben einem Arrangement aus Farnen und Efeutöpfen. Auf dem gepolsterten Korbstuhl, den er für sie hervorzog, nahm sie dankbar Platz.
„Werden Sie heute Nachmittag allein speisen, Ma’am?“, fragte er.
„Ich erwarte noch jemanden.“ Sie faltete die Stoffserviette auseinander und legte sie über ihren Schoß. „Ich habe seinen Namen am Empfang hinterlassen.“
Der Oberkellner nickte. „Ich werde den Herrn zu Ihrem Tisch bringen, sobald er ankommt.“
Alex hatte Rain am Morgen nach Brians Vernissage angerufen, und sie hatten sich für Dienstag in diesem beliebten Restaurant in der Magazine Street zum Lunch verabredet. Rain kannte Alex’ Neigung, zu spät zu kommen. Also bestellte sie schon einmal einen Eistee mit Minze, während sie auf ihn wartete. Doch es dauerte nicht lange, und ihre Gedanken wanderten zum vergangenen Abend zurück und zu dem Moment, als sie und Trevor Rivette sich geküsst hatten.
Sie war jetzt zweiunddreißig Jahre alt und konnte sich nicht erinnern, jemals den ersten Schritt getan zu haben. Nicht bis gestern Abend. Sie dachte an Trevors Reaktion zurück. Seine Lippen waren warm und fest gewesen, als sie die ihren erforscht hatten. Als er sich schließlich zurückgezogen hatte, war sie sicher gewesen, Verlangen in seinen Augen wahrgenommen zu haben. Vor Begierde hatten sie sich verdunkelt und in einem atemberaubenden Mitternachtsblau geleuchtet.
Sie sind Teil dieser Ermittlung, Rain. Seine Worte hallten in ihrem Kopf wider. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern über das Kondenswasser am Wasserglas.
„Dr. Sommers?“
Rain sah auf. Neben ihrem Tisch war ein Mann aufgetaucht. Obwohl Dr. Christian Carteris nie mit seinem Sohn gemeinsam eine Therapiesitzung besucht hatte, erkannte sie ihn sofort wieder. Er war auf dem großen Porträt des Aufsichtsrats in der Lobby des All Saints Hospital zu sehen. Und natürlich kannte sie auch die Bilder, die regelmäßig in den Klatschspalten der Times-Picayune erschienen. Dr. Carteris schien Anfang bis Mitte vierzig zu sein. Wie Oliver war er hochgewachsen und dunkelhaarig. Das Metallgestell seiner Brille glitzerte im Sonnenlicht.
„Dr. Carteris.“ Rain hielt ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. „Wie schön, Sie endlich einmal persönlich kennenzulernen.“
„Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Ich war gerade mit meinem Lunch fertig und habe gesehen, wie man Sie zu Ihrem Tisch gebracht hat. Könnten wir uns kurz unterhalten? Es geht um meinen Sohn.“
„Ich bin sicher, Sie verstehen, dass ich nicht mit Ihnen über die genauen Inhalte der Therapie sprechen kann …“
Der Chirurg hob die Hand, als wollte er ihre Befürchtungen abwehren. „Ich weiß Ihr Bedürfnis nach Diskretion zu schätzen. Und ich würde niemals von Ihnen erwarten, irgendetwas von dem, was Oliver Ihnen während der Sitzungen erzählt, preiszugeben. Die Wahrheit ist nur, ich sehe mich veranlasst, Ihnen ein paar Dinge mitzuteilen. Sie könnten für Olivers Behandlung relevant sein.“ Sein Blick fiel auf den leeren Stuhl. „Darf ich? Zumindest, bis Ihr Gast kommt?“
„Ja, ich denke, das ist in Ordnung.“
Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch, wobei er seine maßgeschneiderte Anzughose ein Stückchen anhob. „Ich komme gleich zum Punkt. Olivers Betragen zu Hause ist in letzter Zeit zunehmend unberechenbar geworden. Mittlerweile ist es so besorgniserregend, dass ich gestern Abend sein Zimmer durchsucht habe, nachdem er ausgegangen war.“ Er rückte seine Brille zurecht.
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