Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)
Familienstreitigkeit.«
»Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Letitia, aber die Mortons sind äußerst merkwürdig. Regelrecht furchteinflößend. Welchen Eindruck haben Sie denn von ihnen?« ».
Es lag Letitia auf der Zunge, sich Robert anzuvertrauen. Doch sie konnte sich noch nicht dazu überwinden. Sie kannte ihn erst zu kurz. Was war, wenn er sie doch im Auftrag der Mortons aushorchte und sich verstellte?
»Nach einer so kurzen Bekanntschaft kann ich mir darüber noch kein Urteil bilden, Robert. Ich bin gestern erst angekommen.«
»Das ist wahr.«
Robert entschuldigte sich. Er wusch sich und zog sich um. In der Zeit schaute Letitia aus dem Fenster und trank Tee. Sie hörte spielende Kinder auf einem der Nachbargrundstücke und das Gebell eines Hundes. Es war das erste Mal, dass sie in Stornoway Kinder hörte.
Robert kehrte in Jeans und einem Wollhemd zurück. Sein Gesicht war gerötet vom Schrubben, Auf Letitias Bitte hin brachte er ihr sein Nähzeug hervor und eine Decke. Im Bad zog sie sich das Kleid aus und wickelte sich in die Decke. Nachdem der Riss geflickt war, entfernte Letitia die Flecken.
Robert hatte inzwischen mit gutem Appetit gegessen. Er gefiel Letitia. Wenn sie länger in Stornoway geblieben wäre, hätte sie ihn gern näher kennengelernt. Vielleicht hätte aus ihnen ein Paar werden können. Robert wusste, dass Letitia eine Bankangestellte war, und sie spürte, dass er sie mochte.
Er machte einen sympathischen Eindruck. Er .war kein Aufschneider, kein Schwätzer und auch kein Casanova.
Für Letitia wurde es Zeit zum Gehen. Sie zögerte jedoch unentschlossen, bis sie sich dann doch spontan entschied, sich Robert anzuvertrauen. Sie verließ sich dabei auf ihr Gefühl, das ihr sagte: Diesem Mann darfst du vertrauen.
Letitia berichtete erst stockend und dann immer fließender von der Warnung ihrer Mutter, wie Thomas Morton sie zu der Reise nach Stornoway überredet hatte und was sie nach ihrer Ankunft erlebt hatte.
Robert stellte nur wenige Zwischenfragen. Bei Letitias Bericht über den Satanstempel und den Spuk dort schaute er ungläubig drein.
»Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Die Statue hat sich tatsächlich bewegt und zu dir gesprochen?« Er duzte sie wie selbstverständlich, und Letitia griff die vertraute Anrede auf.
»Wenn ich es dir sage.« »Unglaublich. Vielleicht hast du dir das nur eingebildet, Letitia? Ein Spiel von Licht und Schatten etwa? Du hast irgendwo, vielleicht beim Haus, Stimmen gehört und Worte hineininterpretiert.«
Letitia stand auf. Ihr Kleid raschelte. Sie war sehr enttäuscht.
»Ich werde jetzt gehen. Ich bin weder hysterisch noch leide ich unter Halluzinationen. Ich möchte dich bitten, über das, was ich dir eben erzählt habe. Stillschweigen zu bewahren, bis ich die Insel verlassen habe. Das wird heute Nachmittag geschehen. Versprichst du mir zu schweigen?«
»Ja, doch, aber jetzt lauf doch nicht gleich weg. Ich habe dich nicht beleidigen wollen, Letitia. – Letitia!«
Letitia eilte hinaus, schwang sich aufs Fahrrad und radelte davon, ohne sich noch einmal nach Robert umzuschauen. Er stand vor seinem Haus auf dem Plattenweg und ließ die erhobene Hand langsam sinken.
Jetzt habe ich sie vergrault, dachte Robert Trent. Der junge Lehrer sah Letitia um eine Biegung der Dorfstraße verschwinden. Kopfschüttelnd kehrte er ins Haus zurück, setzte sich an den Tisch und stützte das Kinn auf die Hand.
Er hatte einen Fehler begangen, als er Letitia allzu skeptisch fragte. Erst hatte er Letitia praktisch umgerannt, dass sie hinfiel und sich weh tat, und dann hatte er sie als eine Spinnerin hingestellt. Da war ihre Reaktion kaum verwunderlich.
4. Kapitel
Letitia war empört. Da hatte sie sich überwunden und Robert Trent einen Vertrauensbeweis erbracht, und er reagierte mit Zweifeln und Unglauben. Ein engstirniger Pauker ist er, dachte Letitia. Gerade recht für Stornoway.
Diesen Mann würde sie aus ihrem Gedächtnis streichen wie Stornoway und die Mortons. Letitia beruhigte sich allmählich, sie brauchte Robert ja nicht wiederzusehen.
Wieder ruhig geworden, erkundigte sie sich nach der Polizeiwache. Die Einheimischen, die sie fragten, mieden alle ihren Blick. Angeblich verstanden sie sie nicht.
Sie schüttelten jedenfalls nur den Kopf und antworteten auf Gälisch. Dann begegnete Letitia einer der Morton-Frauen, die sie von der Dinnerparty kannte. Die Frau kam gerade vom Einkaufen und trug einen Korb und eine pralle Tasche.
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