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Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)

Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)

Titel: Nachts auf der Hexeninsel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Earl Warren
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Sie redete wenigstens Englisch.
    »Hallo, Letitia, das ist aber eine Überraschung, dich hier zu treffen. Was willst du denn in Stornoway?«
    »Ach, ich fahre nur so herum und schaue mich um.«
    »Besuchst du uns nachher einmal? Ich und mein Mann würden uns freuen. Du musst uns von London erzählen.«
    Die Frau beschrieb Letitia, wo sie wohnte. Letitia sagte vage, sie würde vielleicht kommen, und radelte weiter. Schließlich fragte sie zwei zehnjährige Jungs nach der Polizeiwache. Die Kinder mussten in der Schule schließlich Englisch lernen.
    Die Jungens antworteten auch. Letitia fuhr über einen Platz, an dem das Rathaus und Geschäfte standen, und fand endlich in einer Seitenstraße, neben der Schmiede, die Polizeiwache. Einen echten Huf- und Wagenschmied hatte Letitia in Soho nie gesehen. Der Meister hämmerte an einem kantigen Eisenstück herum.
    Er trug eine Lederschürze und hatte die Ärmel aufgekrempelt. Seine rußgeschwärzten Unterarme und die klobige Figur passten zu einem Schmied.
    »Da ist niemand da«, sagte er auf Englisch, allerdings mit starkem Dialekt zu Letitia, als sie ihr Rad abstellte und sich der Tür der Polizeiwache näherte. »Der Konstabler – wir haben nur einen – muss einen Diebstahl in der Nordbucht untersuchen. Er kehrt frühestens in einer Stunde zurück.«
    Letitia war enttäuscht.
    »Gibt es hier einen Geistlichen?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Aber ich habe doch eine Kirche gesehen. Da muss es auch einen Pfarrer geben.«
    Der Schmied betrachtete Letitia unter buschigen Brauen hervor. Es war schattig und kühl in der Gasse.
    »Die Kirche wird kaum je benutzt«, antwortete er. »Mitunter kommt ein Geistlicher vom Festland herüber, aber sehr selten. Hier herrschen andere Mächte.«
    »Welche?«
    »Das müssten Sie doch am besten wissen. Wohnen Sie nicht im ›Haus der sinkenden Sonne‹?«
    »Doch.«
    »Na also.«
    In einem Nest wie Stornoway blieb nichts verborgen. Letitia hätte damit rechnen müssen, dass ihre Ankunft sich herumgesprochen hatte wie ein Lauffeuer. Jetzt wusste sie auch, weshalb sich so wenige Leute auf der Straße aufhielten, und wieso sie sie angeblich alle nicht verstanden. Nur Robert Trent, ein Fremder und Außenseiter, hatte nichts gewusst.
    »Was geht hier eigentlich vor?« fragte Letitia den Schmied.
    Er presste die Lippen zusammen. Er hatte schon zu viel gesprochen und fürchtete sich. Die Frau des Schmieds erschien am Fenster des Hauses, das hinter der Schmiede stand, klopfte ihrem Mann und winkte ihm mit strenger Miene. Der Schmied legte das Werkstück zur Seite, das er bearbeitet, wischte sich die Hände an der Schürze ab und lief eilig ins Haus.
    Was für ein Nest, dachte Letitia, und sie hatte erste Zweifel, ob man sie überhaupt würde abreisen lassen. Die Mortons konnten ihr manchen Stein in den Weg legen. Letitia radelte zum Hafen. Sie fand den Fährschalter leer.
    Ein Schild »Komme gleich wieder« hing da. Doch als Letitia eine halbe Stunde gewartet hatte, war der Mann, der die Karten fürs Fährschiff verkaufte, noch nicht erschienen. Der Tafel mit den Abfahrtszeiten entnahm Letitia, dass das Fährschiff um 16.15 Uhr anlegen würde. Die Karte konnte sie auch noch an Bord kaufen.
    Es war kurz nach 14 Uhr. Die zwei Stunden würden herumgehen. Letitia beschloss, einfach im Hafen zu bleiben. Sie ließ das Rad stehen und schaute sich die Mole, die Fischerboote und die zum Trocknen ausgelegten Netze an. Es roch nach Tang und Salzwasser. Die Wellen schwappten gegen die Kaimauer. Auf den Pflastersteinen glitzerten liegengebliebene Fischschuppen.
    Über dem Meer war es ein wenig dunstig. Letitia konnte die schottische Küste in der Ferne nicht erkennen.
    Sie sah einen alten Mann auf einem Poller sitzen und an seiner Pfeife kauen. In der Absicht, ein paar Worte zu wechseln, ging Letitia zu dem Alten. Er trug die Kleidung eines Fischers. Sein Gesicht unter der Schildmütze war von einer ganzen Landschaft von Runzeln und Falten durchzogen.
    Beim Anblick von Letitia stand er auf und zog ehrerbietig seine Mütze.
    »So bleiben Sie doch sitzen«, forderte Letitia ihn auf. »Ich tue Ihnen nichts.«
    Der Alte stammelte gälische Brocken, machte mit dem gespreizten Zeige- und Mittelfinger das Zeichen gegen den bösen Blick und zog sich zurück. Als er sich eine Strecke von Letitia entfernt hatte, fing er an zu laufen, so schnell seine wackligen Beine ihn trugen.
    »Kindischer Alter«, ärgerte sich Letitia.
    Dann wurde ihr bewusst, dass sie dem alten Mann

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