Nachts im Zoo (Junge Liebe ) (German Edition)
Josh, woraufhin die Frau sichtbar aufatmete.
„Ach so!" Sie winkte Josh hinter sich her. „Kommen Sie bitte mit."
In einem der kleinen Besucherzimmer saß Kevin, alleine, an einem Tisch. Er hatte den Kopf gesenkt, fast so, als würde er sich schämen.
Josh setzte sich leise. Was sollte er sagen?
„Wie geht es dir?", fing er an. „Wie fühlst du dich?"
Da hob Kevin den Kopf. Er sah mitgenommen aus, blass und mager.
„Wie in einem Affenkäfig", antwortete er. Ein ironisches Lächeln huschte über sein Gesicht.
Josh konnte das in gewisser Weise nachvollziehen. Doch hatte er so unendlich viele Fragen. Er wusste kaum, wo er beginnen sollte. So entschied er sich dafür, erst einmal grundlegende Dinge zu klären.
„Wie lange werden sie dich festhalten?"
Kevin zuckte mit den Schultern.
„Wenn ich Glück habe, nur ein paar Monate, vielleicht ein Jahr?"
Er wusste es wirklich nicht. „Schneider wird auf eine gewisse Unzurechnungsfähigkeit meinerseits plädieren ..." Er stoppte, dann wurde sein Gesichtsausdruck wirklich betroffen. „Meinst du auch, dass ich nicht ganz richtig ticke? Bin ich verrückt?"
„Nein!", konterte Josh sofort. Er griff nach Kevins Händen, die ganz kalt waren, und schon ertönte der ermahnende Ruf der Wärterin.
„Keinen Körperkontakt!"
Josh zog seine Hände zurück. Er suchte nach Worten.
„Ich denke, du hast den Unfall damals einfach nicht richtig verarbeitet. Es hat sich danach soviel aufgestaut ..." Liebevoll sah er seinen Bruder an. Er verspürte mittlerweile ein wenig Verständnis, Mitleid sowieso, und die Liebe zu ihm war nicht erloschen und doch ...
„Aber eins, Kevin, eins verstehe ich nicht", fuhr er fort. „Seitdem wir dich überführt haben, will diese Frage nicht aus meinem Kopf heraus." Er schluckte aufgeregt und fragte dann:
„Wieso hast du uns nicht gesagt, dass du wieder laufen kannst? Wieso hast du es für dich behalten?" Er schüttelte sein Haupt. „Ich verstehe das einfach nicht."
Wie angeprangert sah Kevin wieder nach unten. Es fiel ihm nicht leicht, darüber zu reden, und doch wusste er ganz genau, warum er so gehandelt hatte.
„Nach dem Unfall schien alles verloren", sagte er leise. „Ich war am Boden zerstört, so hilflos. - Doch du hast mir Kraft gegeben, du warst immer bei mir, hast mich unterstützt und mir so viel Liebe geschenkt." Er sah wieder auf und lächelte. „Ich war wirklich zufrieden mit dem Leben im Rollstuhl. Ich hatte mich dran gewöhnt. Ich wollte deine Zuneigung nicht missen, wollte unsere Zweisamkeit nicht zerstören."
Josh schwieg einen Moment. Genau das hatte er vermutet. Die folgenden Fragen kamen ganz von selbst.
„Wie lange ging das denn so? Wann hast du gemerkt, dass du wieder laufen kannst?"
Er löcherte seinen Bruder mit großen Augen.
„Schon nach einigen Monaten", erklärte Kevin. „Es kribbelte wieder in meinen Beinen, ich spürte Schmerzen ... Ich konnte meine Muskeln anspannen."
Nun wurde Josh einiges klar. „Deswegen hast du die ganzen Nachsorgetermine abgelehnt? Hast du deswegen keinen Arzt mehr an dich herangelassen?"
Kevin nickte.
„Ich wollte nicht, dass sie mich ständig röntgen oder durchs CT schieben. Ich hatte einfach keinen Bock mehr auf ihre Fragen und Untersuchungen ..." Es klang verbissen. Unzufrieden sah er zur Seite, als er daran zurückdachte.
„Vermutlich hätten sie gemerkt, dass du wieder okay bist, was?"
Kevin nickte nur still.
Die Wahrheit zu erfahren, war quälend, und doch auch ein wenig befreiend. Trotzdem gab es eine Menge Ungereimtheiten, die Josh ständig durch den Kopf gingen.
„Aber deine missglückten Gehversuche, deine Stürze, nachts, aus dem Bett ...?"
Kevin zuckte nur mit den Schultern. „Wenn man seine Beine nicht bewegen möchte, wenn man unbedingt will, dass die anderen denken, man kann nicht laufen - dann kann man allen wunderbar etwas vormachen."
Er lächelte ein wenig. Offensichtlich war er mit seiner Rolle als hilfloser Bruder sehr zufrieden gewesen.
Josh konnte weiterhin nur den Kopf schütteln.
„Aber, deine Kraft, deine Muskeln ... die waren definitiv weg. Du hast dich ja kaum bewegt ..."
„Die Krankengymnastik, die brauchte ich, ja, damit meine Beine nicht völlig lahm wurden ... meist bin ich nachts aufgestanden, wenn alle schliefen ..."
Josh schluckte betroffen. Das hatte er nie bemerkt. „Wie hast du geschafft, dass es niemand hört?"
„Ich habe mich zum Dachboden hoch geschlichen, bin dort rüber ins Verwaltungsgebäude und durch
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