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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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gestorben war, war jetzt tot. Er hat lange dafür gebraucht, dachte sie und wußte zugleich, was er dazu gesagt hätte. Er hätte es umgedreht. Sie hörte seine Stimme, die leichte, ein wenig verächtliche Ironie, die nach dem ersten Gin Tonic immer einen zusätzlichen Beiklang bekommen hatte.
    Du hast lange dafür gebraucht, Liebste. Konntest du nicht Abschied von mir nehmen?
    Die gleiche Stunde, die gleiche Verabredung. Sie mit der Schildkröte, die Schildkröte mit dem Hibiskus, er mit dem Gin Tonic. »Um mich gegen den Abend zu wappnen.«
    Rätselhaft war ihr das gewesen, ein Mann, der Angst vor dem Abend hatte, weil ihm angst war vor der Nacht. Aber es stimmte. Sie hatte nicht Abschied von ihm nehmen können. Sie trank noch einen Schluck von ihrem Gin Tonic.
    »Und meine schlechten Angewohnheiten hast du auch übernommen.«
    Was sollte sie darauf erwidern? Daß er bereits zu Lebzeiten weit weg gewesen war, aber damit noch nicht tot? Tot war er erst jetzt, in diesem geheimnisvollen Augenblick, da der Schatten der Zypresse an der Mauer hochkroch. Wie war es möglich, so etwasgenau zu wissen? Es handelte sich also, dachte sie, um drei Augenblicke. Den des Abschieds, den seines Todes und diesen langen jetzigen Augenblick, in dem sie begonnen hatte, ihn zu vergessen, in dem er zu einem Schemen geworden war, sein wirklicher Tod.
    Ein Schemen, dieser Ausdruck gefiel ihr. Ein Schemen, der jetzt über die Mauer verschwinden konnte, am Feigenbaum vorbei und dann über die nächste Mauer, über das Feld, auf dem der Esel der Nachbarn stand, der jetzt zu schreien begann, als grüße er ihn. Dieses Geräusch hatte er ebenfalls nicht ausstehen können. Die tiefen, langgedehnten Laute, die nach einem unermeßlichen Kummer klangen und stets mit einem seltsamen Murren endeten, als wolle das Tier einen unwirschen Strich unter all das Leiden setzen.
    Wie einfach das alles war! Sie saß da, ohne sich zu bewegen. Ob die Schildkröte sie jetzt ansah, wußte sie nicht, zumindest hatte sie den Kopf in ihre Richtung gedreht. Die Kiefer mahlten noch immer, ein letztes Stück Rot hing ihr obszön aus dem Maul. Gleich würde sie sich umdrehen, die vier albernen Beine einzeln in Bewegung setzen und dann langsam wegwatscheln, bis sie nicht mehr zu sehen war. Irgendwo unter den trockenen Steinen der Mauer mußte sie wohnen, aber sie hatte sie nie eingeladen. Noch eine, die sie nicht brauchte. Sie lachte, hörtesich lachen in der Stille des Gartens. Keine Antwort. Leises Geraschel von Palmblättern, das war alles. Schildkröten, dachte sie, leben, wenn sie klein sind, unter der Erde, an dem Platz, der eigentlich den Toten gehört. Vielleicht kam diese ja zu ihr, weil sie sie irgendwann dort gefunden hatte, aber mit Sicherheit war das nicht zu sagen. Beim Hacken war das gewesen, plötzlich hatte sie zwei, drei winzige Schildkröten zutage gefördert. Sie war verblüfft gewesen, doch er hatte ihr erklärt, daß sie die erste Zeit ihres Lebens unter der Erde verbringen. Danach hatte er die Tiere aufgehoben und über die Mauer geworfen. Ursache und Wirkung. Konnte man den Beginn von etwas ausrechnen? Konnte man sagen, daß es einen Augenblick gibt, an dem ein Abschied beginnt? Und ist es der, in dem man sich zum erstenmal fragt, warum man mit jemandem zusammenlebt, der Schildkröten über die Mauer wirft, der sich vom Licht einschüchtern läßt, der Angst vor dem Abend hat? Sie schrieb Kinderbücher, die sie selbst illustrierte. An diesem Tag hatte sie mit einem Buch über drei kleine Schildkröten begonnen, denen sie drei katholische Vornamen gegeben hatte, aber sie hatte es ihm nie zu lesen gegeben. Er hätte die Rache nicht verstanden, sie hatte sich etwas Drastischeres ausdenken müssen, und das war ihr besser gelungen als erwartet. Deine Frau in den Armen von Beppo, dem Postboten, das passiert dir auch nicht alle Tage. Der Postbote einBeau, der jeden Morgen auf seinem Rennrad die Post bringt und ein Glas mit dir trinkt. Mit dem du über dieses Arschloch Berlusconi redest, der sich gemeinsam mit dir die Beisetzung des Papstes anschaut, der dir die Klatschgeschichten aus dem Dorf erzählt und mit dem du in der Bar Italia rumhängst. Mit dem! Und dann noch auf einer Wiese, sehr passend mitten im kratzigen Unkraut unter einem Feigenbaum, nur ein kleines Stück von dem Pfad entfernt, auf dem du gerade vorbeireitest, etwas, das sich hinter der Mauer bewegt und das du von oben siehst, der braune Rücken, das schwarze Haar und darunter das andere,

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