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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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blonde, und dieses Gesicht, das mit weit geöffneten, sehr holländischen blauen Augen ohne das leiseste Erschrecken oder die leiseste Scham zurückblickt und dich bestraft für drei tote Schildkröten und drei Jahre Ironie.

    Es war dunkel geworden, aber sie saß immer noch da, ohne sich zu rühren. Daß sie lachte, konnte jetzt niemand mehr sehen. Sie war an jenem Tag ein paar Stunden später nach Hause gekommen. Er hatte in seinem Arbeitszimmer an seinen Computern gesessen, wie immer verbunden mit den Börsen der ganzen Welt. Sie hatte eine Zeitlang hinter ihm gestanden, hatte zugeschaut, wie sich die abstrakten Zahlen auf dem Bildschirm hin und her bewegten. Das war der Abschied gewesen. Am nächsten Tag hatte erwie immer die Post am Gartenzaun entgegengenommen und mit Beppo ein Glas Wein getrunken, danach war er gegangen, ohne daß noch ein Wort gesprochen worden wäre. Nicht lange danach war er gestorben, als hätten sie es so abgemacht, und jetzt, heute nachmittag, war er hinter der Mauer verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.
    Sie stand auf und ging ins Haus. In ihrem Arbeitszimmer strich sie kurz über das Foto der Schildkröte. Sie hörte ihre eigenen Schritte auf dem Weg zur Küche, blieb einen Augenblick stehen und lauschte, wie still alles war.

Paula

1

    I ch glaube nicht an Geister, aber dafür an Fotos. Eine Frau will, daß man an sie denkt, und sorgt dafür, daß man ein Foto von ihr findet. Wenn sie nur genug vernachlässigt werden, sind Tote dazu imstande. Vielleicht sollte ich das anders ausdrücken: Wenn sie der Meinung sind, daß man sie zu sehr vernachlässigt hat, sind sie dazu imstande. In meinem Fall stimmt das nicht, ich denke regelmäßig an Paula. Wie das bei den anderen ist, weiß ich nicht, ich sehe sie so gut wie nie, nur noch ganz selten, per Zufall. Gilles ist tot, Alexander hat endlich sein Studium abgeschlossen und ist Vertrauensarzt bei der Rentenversicherung in Groningen, Ollie lebt in Amerika, der Doktor soll krank sein. Von denen hat sie dann wenig, und Paula ist zweifellos eine unruhige Tote. Es wird folglich auf mich hinauslaufen. Vielleicht mangels besserer Alternativen, aber immerhin.

    Gut, Paula, hier bin ich also, ich denke an dich, da bin ich gut drin. War ich damals auch. Und ich habe nie damit aufgehört. Lebe seit Ewigkeiten wieder allein, habe schon vor Zeiten allen überflüssigen Kramweggeworfen, aber anscheinend nimmt das nie ein Ende, noch immer finde ich alles mögliche. Leere Wohnung, modernes Apartmenthaus, keine Belästigung durch Nachbarn, ruhig, Blick auf den Polder, oberstes Stockwerk. Selten Besuch, der sich dann unbehaglich umsieht, wie Katzen, wenn sie sich noch nicht sicher sind, wo Gefahr lauern mag. Bett, Tisch, Stuhl, alles schlicht. Minimalistisch, hat der Baron bei seinem einzigen Besuch gesagt, mit diesem gezwungenen Lächeln, das er dann hat. Er kam wegen einer alten Spielschuld, sah sich um wie ein Gerichtsvollzieher, als würde er etwas zwangsversteigern lassen, wenn ich nicht zahlte. Ich hatte nicht vor, zu zahlen, damals nicht und heute nicht. Auf diesen Besuch hatte ich Jahre gewartet, ich wußte, der Baron würde eines Tages kommen, in dieser Hinsicht hat er sich nicht geändert. Keine Ahnung, wie es um dein Gedächtnis bestellt ist, dort, wo du jetzt bist, aber den Baron kennst du bestimmt noch. Ihr habt immer phantastisch miteinander getanzt, vor allem zu den Stones. Das sind jetzt auch alte Männer. Er bewegte sich dann in einer Art mechanischer Trance, wie ein aufgezogener Roboter. Du bist wie ein Lumpen um ihn herumgewedelt, aber im letzten Moment hat er dich immer noch gepackt, zusammen wart ihr eine faszinierende Maschine, alle schauten zu. Und jetzt schaue ich wieder. Dein Foto steht aufrecht vor der weißen Wand. Sieh mal einer an, da haben wirPaula, sagte der Baron, als er das Zimmer betrat. Long time no see. Ist ja wie in einem Zenkloster hier, hat er auch noch gesagt, aber ich bin nie in einem Zenkloster gewesen. Ich wollte alles weghaben, weg und weiß. Bin beinahe soweit. Besuch bekomme ich nie, also reicht ein Stuhl zum Lesen. Einer zum Lesen, zum Essen. Alle meine Wände sind weiß, vielleicht kannst du es sehen. Keine Ahnung, was ihr seht oder nicht seht. Ich hasse frühe Fotos von mir, aber womöglich ist das bei dir anders, du kannst nicht älter werden, also hast du nie anders ausgesehen. Wie lange ist das her, vierzig Jahre? Fünfundvierzig? Auf dem Cover der Vogue war dieses Foto, darauf waren wir alle stolz,

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