Nachts kommen die Fuechse
Drei Jahre waren sie zusammengewesen. Ihre Welten hatten nie etwas miteinander zu tun gehabt, das einzige, was sie verband, war, daß sie nicht in den Niederlandenleben wollten und ihrer Arbeit auch hier, auf diesem alten Bauernhof, nachgehen konnten. Er war eines Tages als eine Form des Zufalls in ihrem Leben aufgetaucht, ein Mann auf einem Pferd, der über die niedrige Mauer in ihren Garten geschaut und ihr zugewinkt hatte.
Sie hatte ihn anziehend gefunden, weil sie seinen Beruf (Geld) mit einigen Dingen, die er sagte, nicht in Einklang bringen konnte, so als sei irgendwo in diesem großen, handfesten Körper auch noch ein Dichter verborgen. Im Bett war er auf ziemlich unbeholfene Weise gut gewesen, genauso wie er, dachte sie jetzt, auch zu seinem Pferd immer freundlich gewesen war.
Sie schaute auf die Schildkröte. Es gab hier mehrere, doch diese war die einzige, die sie immer sofort erkannte. Auch darin war er anders gewesen. Einmal hatte er versucht, es ihr zu erklären. Er hatte die Schildkröte mit ausholendem Griff gepackt und auf den Tisch gehoben. Das Tier hatte seinen Altmännerkopf eingezogen, so daß nur noch Panzer da war, über den er dann mit den Händen gefahren war. Hier, hatte er gesagt, und hier. Sie hatte die dunklen Flecken auf dem grünen Panzer betrachtet, auf die er deutete, und versucht, das Muster zu erkennen, das er vor Augen hatte, aber als sie am nächsten Morgen eine der Schildkröten im Garten sah, hatte sie nicht mehr gewußt, ob es dieselbe war oder eine andere.Diese hingegen kannte sie, weil sie sie hatte kennen wollen. Eines Tages, als das Tier ruhig neben dem Hibiskus saß, hatte sie ein Farbfoto von ihm gemacht und so bearbeitet, daß nur der Panzer geblieben war und das ganze Bild ausfüllte. Dieses Foto hatte sie vergrößern lassen und in ihrem Arbeitszimmer aufgehängt. Ein abstraktes Gemälde, hatten Freunde lobend gesagt, warum machst du nicht mehr in dieser Art? Auch er hatte das gedacht, wie sie wußte, es aber nie ausgesprochen.
Die Schildkröte war jetzt nah beim Hibiskus. Sie schien eine Vorliebe für den flammendroten zu haben. Den gelben, ein Stück entfernt, überließ sie offenbar den anderen. Anfangs hatte sie es merkwürdig gefunden, daß Schildkröten Blumen mochten, als gebe es einen unüberwindbaren Abstand zwischen diesen ätherischen, hauchdünnen Blütenblättern und dem fast fossilen Alter des Tiers. Der Hibiskus war ihre Lieblingspflanze. Es war neben dem üppigen Plumbago und der Bougainvillea, die beide eigentlich kein Wasser brauchten, die einzige Pflanze, um die sie sich im Sommer kümmern mußte. Es war auch die einzige, die sich dafür erkenntlich zeigte, die jeden Tag eine Geste machte, wie sie es für sich nannte.
Die Sommer schienen immer trockener zu werden, und manchmal durfte man nicht gießen, aber das konnte ihrem Garten wenig anhaben. Aloen,Kakteen, eine in alle Richtungen strebende Yucca, Palmen, Pinien und diese eine Zypresse, sie blieben sich immer gleich, holten sich das wenige Wasser, das sie benötigten, tief aus dem Boden. Nur der Hibiskus bekam jeden Tag neue Blüten, die aussahen wie blutrote Schmetterlinge und sich in der Stunde, in der sie aufstand, plötzlich mit einer seltsamen inneren Kraft weit öffneten, am Ende des Tages starben und auf die trockene braune Erde fielen, wie jetzt.
Alles an Schildkröten war merkwürdig. Die Art und Weise, wie sie sich jetzt auf diesen archaischen Vorderbeinen mit den seitwärts gerichteten Füßen auf die Blüte zubewegte, war eigentlich eine Art Krabbengang. Die Blüte hatte sich bereits vor dem Herabfallen zusammengerollt, als habe sie sich wie in ein Leichengewand in sich selbst gehüllt, weil sie wußte, was ihr bevorstand. Die Frau, die sie betrachtete, verspürte ein leichtes Schaudern. Sie hätte an dieses tägliche Ritual gewöhnt sein müssen, erlebte es aber noch immer als vage Form von Schmerz, wenn die Schildkröte ihren gepanzerten Kopf zur Blüte reckte. Rot war diese jetzt nicht mehr, eher ein zusammengerollter Schmetterling von der Farbe getrockneten Bluts. Sie sah die kleinen, ausdruckslosen Knopfaugen im hornartigen Panzer, sah, wie sich das eigenartige, lippenlose Maul öffnete und wie die Kiefer die Blüte zu zermalmen begannen, und wieder, wievor einer Viertelstunde, als der Schatten der Zypresse die aus aufgeschichteten Steinen errichtete Mauer erreicht hatte, war sie sich sicher. Der Mann, mit dem sie hier jahrelang gelebt hatte und der vor einigen Jahren
Weitere Kostenlose Bücher