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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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weil wir ihn alle gewählt hatten. Hau-hau. Cinco, der selbst nie mehr kam. Inzwischen auch tot. Diesen Refrain wirst du wohl noch öfter hören. Nicht zu ändern, gehört jetzt zu meinem Leben. Ich nahm die Hand vom Schlitten und sagte, wieviel in der Bank war. Hundert Gulden. Vielleicht gleich so forsch, um dich zu beeindrucken. Das war damals noch eine Menge Geld. André saß links vonmir. Sonst immer vorsichtig, aber jetzt Suivi. Ich zog die Karten, sah sie mir an. Zwei Neunen und eine Sechs, das konnte nicht schiefgehen, Traumhand. Über die Köpfe hinweg betrachtete ich dein Gesicht, den gierigen Ausdruck. Und ich war nicht der einzige, auch der Baron, Gilles, Nigel, sogar Tico und das Wunderkind. Und die Frauen schauten, wie die Männer schauten. Federn gesträubt, Krallen gewetzt. Es hat eine Weile gedauert, bis du die auch untergekriegt hattest. Nein, das ist nicht richtig. Bis sie dich liebten, so wie wir. Hau-hau, aber für die Frauen klang es anders, rauher, tiefer, lieber. Ich hielt die Bank ungefähr zehnmal. Zweihundert, vierhundert, achthundert, jedesmal Banco, bis ich Chocolat nehmen konnte. Du hattest es rasend schnell gelernt. Suivi, avec. Mit ’nem Vogel in der Heck’. Das sagte der Schriftsteller dann immer, wir warteten schon darauf. Du verlorst wie verrückt, aber beim letzten Mal, als wieder achthundert drin waren, sagtest du Banco.

    Für einen Moment wurde es still. Langsam zog ich die Karten. Du hieltest sie, wie du es wahrscheinlich in einem Film gesehen hattest. Zunächst ließest du sie aufeinander, als ob es nur eine wäre. Dann nahmst du sie ganz dicht an dich heran und hieltest sie dir direkt vor die Brust. Erst danach hobst du sie langsam hoch vor deine Augen, schobst sie geradeweit genug auseinander, um zu sehen, was du hattest. Hau, sagtest du, und das bedeutete Karte. Das war das erste Mal, daß ich gegen dich verlor. Von da an gehörtest du dazu. Aber es so auszudrücken ist nicht genug. Es war, als hättest du schon immer dazugehört. Paula, ach, die kennen wir schon seit Jahren.

    Jahre? Wie lange diese Zeit genau gedauert hat, weiß ich nicht, nur, daß nach deinem Tod alles schrumpfte. Was in der Welt passierte, Vietnam, Straßenschlachten in Amsterdam, Hausbesetzungen, Kalter Krieg, die H-Bombe, der Club of Rome mit seinen apokalyptischen Prognosen, die erste Ölkrise, Prag 1968, wir verfolgten es zwar, aber von fern.
    Der richtige Krieg war für die meisten noch nicht so lange her, es war klar, daß neue Konflikte aufgetaucht waren, die zu noch größeren Katastrophen führen würden, aber, so meinte Nigel, das werden ganz andere Katastrophen, nicht solche, über die man sich jetzt aufregt. Die ruhige Gewißheit, mit der er das sagte, überzeugte vielleicht deshalb, weil er immer gewann, weniger weil er mehr gewußt hätte als wir. Und außerdem, wir hatten andere Dinge im Kopf. Nigel kam aus der Mathematik, das ist Ordnung. Und die Welt war Unordnung. Wir waren ein diffuses Grüppchen, doch das Spiel war übersichtlich.
    Das Haus von Dodo und Gilles lag in Amsterdam-Zuid hinter einem Kanal, der ein wenig jämmerlich versuchte, wie eine echte Gracht auszusehen, damals jedoch im Grunde noch eine Trennungslinie zwischen der Stadt und allem außerhalb von ihr war, so daß man, wie der Schriftsteller sagte, immer das Gefühl hatte, einen Schloßgraben überwinden zu müssen, um ins Schloß Dodo zu kommen. Der Schriftsteller hieß nicht so, weil er schrieb, sondern weil er so hieß. Daß er auch noch schrieb, kam hinzu. Den Baron hatte Wintrop mitgebracht, sie machten zusammen irgend etwas mit Aktien, worüber sie aber nie sprachen, nicht einmal mit André und Gilles, die Börsenmakler waren oder gewesen waren, das wurde nie ganz deutlich. Nichts war deutlich, darauf lief es im Grunde hinaus. Es gab keine Hierarchie. Das jüdische Wunderkind studierte, um Chirurg zu werden, Nieges handelte mit zweifelhaften Antiquitäten, Merel hatte ein kleines Reisebüro mit Dritte-Welt-Zielen im Stadtteil De Pijp, Nigel, der nicht zu seinem Namen paßte, weil er aussah, als hätte er sein ganzes Leben in Dostojewskis Kellergeschoß zugebracht, finanzierte sein Mathematikstudium mit Pokern in einem Club, in den wir nicht durften, Tico war Vertreter für Chartreuse und eine obskure Champagnermarke. Den Doktor nannten wir so, weil er kein Doktor geworden war. Kennst du sie noch? Ollie gehörte zu André, sie blieb inTexas, als er starb. Abwesende und Tote, das ist meine Gesellschaft.
    Merel

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