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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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Deutschen parkten. Plötzlich hörte man das Meer wieder. Komisch, Deutsche, die kein Spanisch sprachen und es auf englisch versuchten, das klang wie in einem Kriegsfilm. Jawohl, Sir. Luis brachte ihnen zwei Bier und schleimte eine Weile bei ihnen herum. Das war für Suzy bestimmt. Er brauchte sie nicht, lautete die Botschaft. Als er endlich an ihren Tisch zurückkehrte, fing er mit dem Teil an, der schon dran gewesenwar. Ob sie Oviedo kenne? Nein, sie kannte Oviedo nicht und war auch gar nicht neugierig darauf. Wenn du da hingehst, komm ich dich bestimmt mal besuchen, sagte sie und stand langsam auf. Der Wind hatte an Stärke zugenommen, sie schwankte. Das Geld hatte sie bereits auf den Tisch gelegt, unter einen kleinen Teller, damit es nicht wegflog. Luis stand bei den Deutschen, mit dem Rücken zu ihr. Stay the course , Suzy, murmelte sie. Jedenfalls konnte jetzt keiner denken, das komme vom Alkohol. Aber es war sowieso niemand auf der Straße. Sie hielt sich an den Hauswänden fest. Wenn er nichts sagte, wußte sie nicht, woran sie war, aber sie würde doch etwas bereitlegen. Das war ihre größte Kunst, wie aus Versehen etwas bereitzulegen. Einen silbernen Löffel hier, eine kleine Flasche Famous Grouse neben dem Telefon, nur einfach Geld war zu primitiv, es mußte Stil haben und gleichzeitig wie ein Versehen wirken. Das letzte Mal, das war frech. Da hatte er Annabelles silbernes Feuerzeug mitgenommen. So war es nicht gedacht gewesen, aber sie hatte nichts gesagt. Sie hatte den Fernseher angelassen, die Stimmen waren schon auf dem Flur zu hören. Als sie ins Wohnzimmer trat, blieb sie einen Augenblick stehen. Zuviel Licht, sie würde die große Schirmlampe ausmachen. Sollte sie sich jetzt ausziehen oder nachher? Bis zwölf würde sowieso nichts passieren. Sie sah noch zu, wie drei Menschen gleichzeitig erschossen wurden, und gingdann ins Schlafzimmer. Im Bett fiel ihr ein, daß sie nichts bereitgelegt hatte, doch da hörte sie bereits seine Schritte auf dem Gartenweg und ums Haus. Das Außenlicht machte sie immer aus, es war nicht nötig, daß ihn jemand sah. Flur, Wohnzimmer, eine Katze im Dunkeln. Ein alter, dreiundsechzigjähriger spanischer Kater in schwarzen spanischen Schuhen, die besser englische Schuhe hätten sein sollen. Es war bereits hell, als sie aufwachte. Sie schaltete die Nachrichten auf BBC World ein. Bagdad, Darfur, Gaza, Kabul, sie hörte nie richtig zu, liebte aber den Klang, die sanften englischen Stimmen, die einen zu Tagesbeginn in die Welt einhüllten, ohne daß es weh tat. Neunundsiebzig war sie geworden, und solange sie denken konnte, hatte sie sie immer gehört. Nachrichten gab es jeden Tag, genau wie das Wetter. Sie stand langsam auf und schaute aus dem Fenster. Aus dem Radio tönte die Welt, und hier sah sie sie, eine leere Straße voller Blätter. Der Wind hatte sich gelegt, ein gehorsamer Hund. Alles stimmte. Auf dem Tisch stand ihr weißes Täschchen, offen. Das Portemonnaie war leer. Sie versuchte sich zu erinnern, wieviel darin gewesen war, wußte es aber nicht mehr. Kleine Kanaille, dachte sie, und während sie in die Küche ging, um Wasser für den Tee aufzusetzen, nickte sie Annabelles Porträt in dem silbernen Rahmen auf dem großen Schreibtisch zu. Im Aschenbecher daneben lag eine Kippe mit weißemFilter. Annabelle lachte aus dem Totenreich zurück, ein zwiespältiges, halb anerkennendes Lächeln. Aber bei Annabelle wußte man nie.

Der letzte Nachmittag

    P lötzlich war er tot.
    An den Moment sollte sie sich stets erinnern, weil er mit solch klaren Bildern einhergegangen war. September, die Sonne schon etwas tiefer, der Schatten der Zypresse, der bis an die Gartenmauer reichte, die Schildkröte, die langsam auf den Hibiskus zugewatschelt war, auf der Suche nach der ersten Blüte, die herabfiele. Es war eine Verabredung zwischen ihr und der Schildkröte. Immer in der letzten Stunde des Nachmittags, die gleichzeitig das Tor zum Abend war. Auf Sardinien wurde es früher dunkel als in den Niederlanden, weil man hier dem Äquator näher war. Das hatte er ihr erklärt. Die Bewegung des Lichts war ihm wichtig gewesen. Licht lebte, er sprach darüber wie über eine Person, mit der er persönlich etwas zu schaffen hatte, die ihm etwas antat. Manche Tage gefielen ihm nicht, dann war etwas mit dem Licht, was sie natürlich nicht sah. Dieses Gefühl hatte es immer gegeben, daß er mit unsichtbaren Dingen lebte, Dingen, an die sie nicht herankam und die sie auch nicht benennen konnte.
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