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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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mit dem Aufschreiben nach. Du hattest eine Bank, gegen die keiner eine Chance hatte, die Schokolade schmolz nur so über den Tisch zu dir hin. Slof, Banco, Suivi, Chocolat. Für den undenkbaren Fall, daß du es nicht mehr weißt: Chocolat war der Gewinn, den man aus der Bank nehmen durfte, wenn nicht voll dagegengesetzt wurde. Banco, wenn man allein gegen die Bank spielen wollte, um den gesamten Einsatz. Suivi, wenn man das noch einmal tat, nachdem man schon verloren hatte. Diese Reise war unvergeßlich. Noch immer gehe ich jedes Jahr für eine Zeitlang in die Wüste. Wo das ist, spielt keine Rolle. Unterwegs schliefst du ein- oder zweimal mit jemandem, der dir gerade unterkam. Ich stelle dich nicht bloß, meintest du, ich sag, daß du mein Bruder bist. Dann muß ich ihnen noch die Kehle durchschneiden, sagte ich, man schenkt seine Schwester nicht an die erstbesteKarawane her. Aber wir hatten ausgemacht: keine Eifersucht, das war unser Gesetz.

    Während dieser Abende schrieb ich an meiner eigenen Geschichte, allein in einem Zelt. Draußen Hunde, die die ganze Oase volljaulten. Mein einziger Stolz, daß sie keinen Geschichten glich, die ich kannte. Ob es für dich auch so war, weiß ich nicht. Du sagtest nichts dazu, schautest böse und gefräßig, als bekämst du nie genug.
    Warst du unglücklich? Eine saublöde Frage, hättest du gesagt. Und dann auf einmal ein Arm, der sich um mich schlang. Mit keinem anderen, du konntest auch flüstern, mit keinem anderen würde ich so eine Reise machen wollen. Weder wollen noch können. Wenn du bumsen möchtest, mußt du es sagen, wir haben hier alles, Herz von Afrika, Palmen, Kamele, Sterne. Hau-hau.

4

    Der Baron hieß so, weil er nicht adlig war. Sein Großvater stammte aus der Zeit der guten Absichten und hatte seinen Titel in die Mülltonne der Geschichte geworfen, eine eigene kleine französische Revolution ohne Guillotine. Der Enkel litt noch immer unter Phantomschmerzen. Er hatte zwar einFamilienwappen, aber nichts mehr vor seinem Namen, den er deshalb um so mehr kultivierte, denn den besaß er wenigstens noch. Weißt du alles. Tote haben keinen Alzheimer.
    Du brauchst auch nicht zuzuhören. Ich rede trotzdem. Tu ich für mich selbst. Ich fülle den Raum. Sehnsucht habe ich nicht, aber sie waren mir lieb. Tico nannte mich Don Anselmo. Das hing mit einem Film zusammen, den wir mal gesehen hatten. El Cochecito . Tico und Merel. Er mit leicht indonesischem Einschlag, sehr gewählte Ausdrucksweise, ganz entfernt noch dieser Akzent. Vater bei der Königlich Niederländisch-Ostindischen Armee. Unteroffizier, aber trotzdem gewählte Ausdrucksweise. Koloniale Komplexe. Immer Angst, nicht für voll genommen zu werden. Wir kommen aus Madura, falls du weißt, wo das liegt. Bali, Lombok, Sumba, Sumbawa, Flores, Timor halb portugiesisch. Versteht keiner mehr. Tico war Nieges’ Freund. Nieges weiß, wie man etwas auf alt trimmt, nicht wahr, Nieges? Eine Frage der Chemie. Man tut es eine Weile in die Erde mit einem Tropfen von diesem oder jenem, dann wird es von ganz allein alt. Tico hatte sein Studium nicht abgeschlossen, wußte aber genug, um Nieges zu helfen. Das war für mich das Eigenartige. Sie sahen sich tagsüber. Alexander famulierte in dem Krankenhaus, in dem das Wunderkind arbeitete. Merel ging mit Dodo und Ollie in etwas, das manjetzt Fitness-Studio nennt. Der Doktor brachte seine Tage in Schachcafés zu. Ich sah tagsüber keinen von ihnen, für mich gehörten sie zum Abend. Der Kreis, die Gesichter um mich herum, das gelbe Licht, der Rauch. Und du. Ich habe dich jetzt vor mir, das ist ganz einfach, auf den Polder kann man jedes Bild projizieren. Muß doch wieder daran denken, was du damals sagtest, die Zeit eindicken, weil dir alles zu langsam ging. Vielleicht war es nur so dahingesagt, und ich mache jetzt zuviel daraus. Trotzdem. Ich habe die Zeit, über diese Dinge nachzudenken. Den ersten Film von Antonioni, den ich je gesehen habe, sah ich mit dir. Antonioni und Bergman, auch beide tot. Es ist, als hätte ich danach nie mehr einen Film gesehen. Hat mich nicht mehr interessiert. Damals war alles links, man mußte mit allem möglichen solidarisch sein, sich in Listen eintragen, auf Demonstrationen mitlaufen, wenn man sich an der Erregung nicht beteiligte, war man ein Arschloch. Wir blieben weitgehend unbehelligt davon, aber es war überall um uns herum. Die Besetzung des Maagdenhuis, die Universität auf den Kopf gestellt, das Theater mußte ein anderes werden,

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