Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
Gedanken, einen Fehler begangen zu haben. In ihrer Großstadtwohnung war sie niemals in eine Situation gekommen, in der sie sich ängstigte. Dafür hatte der Hund ihrer Nachbarin schon gesorgt, der sich lautstark meldete, wenn jemand nur das Haus betrat, und Schritte fremder Personen bis ins Obergeschoss mit nervendem Gebell begleitete. Vielleicht hätte sie auch in diesem Punkt auf Nina hören sollen. Die Freundin hatte ihr, neben all den mehr oder weniger nützlichen Ratschlägen, auch empfohlen, sich sofort einen großen Hund anzuschaffen. Alexandras Gegenargument war, dass sie sich doch nur vor einer Sache wirklich fürchtete, und das waren Mäuse. Ihre erste Wahl bei der Anschaffung eines Haustieres wäre demzufolge eine Katze. Nun gut, sie hatte weder das eine noch das andere und würde wohl allein zurechtkommen müssen. Der Baseballschläger musste für nächtliche Panikattacken genügen, und das Mäuseproblem würden schon die Fallen beseitigen, die sie am nächsten Tag kaufen würde. Da sie keine Lust verspürte, die Matratze aufzublasen, warf sie alles, was sie an Decken finden konnte, übereinander und legte sich Apfel essend darauf. Es dauerte nur wenige Minuten, bis ihr, noch kauend, die Augen zufielen.
4.
Das flackernde Licht der Kerze warf lange zitternde Schatten an die unverputzten Wände des Obergeschosses. Konnte man den unteren Teil des Hauses noch als bewohnbar bezeichnen, entpuppte sich das obere Stockwerk als blanke Ruine. Auch hier türmte sich in jeder Ecke des Flures allerlei Krempel, der auf den ersten Blick nur noch als Brennholz zu verwenden war. Zwei in hässlichem Rot gestrichene Türen führten in kleine mansardenähnliche Räume, aus denen ein kalter, modriger Geruch strömte. Hunderte von Spinnen hatten sich in winzigen Löchern und Rissen zwischen den Ziegelsteinen ihre Behausungen gebaut und die Wände inzwischen fast vollständig eingesponnen. Wie eine dünne Haut zog sich das weiße, dicht gewebte Netz über das gesamte Mauerwerk. Obwohl man diesem Umstand ein gutes Raumklima nachsagte und Alexandra keinerlei Angst vor den achtbeinigen Mitbewohnern hatte, jagte ihr der Anblick dennoch kalte Schauer über den Rücken. Sie hob die Kerze ein wenig höher und leuchtete eine steile Treppe hinauf, die in eine große Deckenluke mündete. Von da, so vermutete sie, mussten die Geräusche kommen, die gegen zwei Uhr nachts eingesetzt hatten. Anfangs hatte es wie Schritte geklungen, leichte Schritte, die hin und wieder innehielten, wenig später war es eher ein rhythmisches Schleifen. Aber in allem, was sie meinte, gehört zu haben, konnte sie auch irren, ein altes Gemäuer besaß nun mal eigene, ganz charakteristische Geräusche. Mancher sah darin die Seele eines Hauses, ein anderer widerlegte jegliches Philosophieren über das Eigenleben von Gebäuden mit logischen Erklärungen von alten Wasserrohren oder Ähnlichem.Egal, wie man es auch betrachtete, des Nachts von unerklärlichen Geräuschen geweckt zu werden, gehörte nicht zu den angenehmsten Erfahrungen.
Der zentimeterdicken Schicht Staub und losem Mörtel nach zu urteilen, war die Treppe zum Dachboden schon jahrelang nicht mehr benutzt worden. Es würde nicht einfach sein, die Luke zu öffnen, denn auch wenn sie nicht sonderlich solide wirkte, maß sie doch schätzungsweise einen Quadratmeter. »Was soll’s«, dachte Alexandra, an Einschlafen war eh nicht mehr zu denken.
Die alte Holztreppe ächzte unter ihren Füßen, begleitet vom leisen Rieseln des Mörtels in den Hohlraum unter ihr.
Sie hatte keine Ahnung, was sie da oben erwartete, aber die Angst beim Lauschen würde sich ins Unerträgliche steigern und der Phantasie freien Lauf lassen. Diese Angst trieb sie jetzt, ungeachtet der eigenen Geräuschkulisse, nach oben. Wie erwartet bestand die Luke nur aus zusammengenagelten Brettern, von verrosteten Schrauben notdürftig an zwei großen Scharnieren gehalten.
Alexandra stemmte eine Hand von unten dagegen und hob sie vorsichtig ein paar Zentimeter an. Ein schwacher Windhauch schlug ihr entgegen und brachte die Kerze in ihrer rechten Hand beinahe zum Erlöschen. Reflexartig ließ sie die Luke los, um die flackernde Flamme mit der Hand abzuschirmen, und zog blitzschnell den Kopf ein. Die fallende Luke verfehlte sie nur knapp und landete mit lautem Krachen in ihrem Rahmen. Spätestens jetzt würden alle Mäuse in ihren Löchern verschwunden sein, etwaige Geister das Weite gesucht haben und selbst ein heimlicher Dachbewohner
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