Nachts kommt die Angst: Psychothriller (German Edition)
eingeschüchtert.
»Dass sie spurlos verschwunden sind«, antwortete er.
Alexandra schüttelte den Kopf. »Vielleicht sind sie einfach weggezogen. Kann doch sein! Oder muss man sich bei den Dorfbewohnern abmelden, wenn man auszieht?«
»Das nicht, aber ich glaube schon, dass man seine Haustiere oder Möbel mitnimmt!«
Alexandra lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie an die Ansammlung alter Möbel im Flur dachte. Schon beim ersten Blick darauf hatte sie sich gewundert, wie jemand so viel Kram anhäufen konnte. Die durchgebissenen Hundeleinen an den eisernen Wandringen unterstrichen zudem die gruselige Vermutung, dass es in diesem Haus nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Paul hatte ihr also nur die halbe Wahrheit gesagt.
Alexandra begann von einem Bein auf das andere zu treten, so wie sie es immer tat, wenn sie nicht weiterwusste. Insgeheim formulierte sie schon eine passende Begründung, um den eben erst geschlossenen Mietvertrag für null und nichtig zu erklären. Sicher würde es nicht einfach sein, aber aufgrund der Tatsache, dass ihr der Vermieter derart wichtige Umstände verschwiegen hatte, hoffte sie, selbst vor einem Gericht recht zu bekommen.
Harris Zimmering stand noch immer mit gesenktem Kopf vor ihr. Verunsichert beobachtete sie ihn und bemerkte plötzlich, wie sich sein Mund zu einem infamen Grinsen verzog. Weitere Sekunden vergingen, dann hob er den Kopf und lächelte sie an. »Nein, war ein Witz. Ich hab Sie verarscht. Ich wollte Ihnen einen Schrecken einjagen, was mir ja auch gelungenist. Na gut, war vielleicht ein bisschen makaber, aber man hat ja sonst keinen Spaß hier.«
Er hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als eine schallende Ohrfeige auf seiner linken Wange landete. Alexandra selbst war danach wie erstarrt. Einige Sekunden lang durchbohrte sie ihn mit ihrem zornigen Blick, laut atmend vor Erregung, dann drehte sie sich abrupt um und lief zu ihrem Fahrrad. Anscheinend ahnte er, dass es in diesem Moment nichts gab, was sie besänftigen würde, denn er stieg ohne ein Wort in sein Auto und ließ den Motor an. Noch immer außer sich vor Wut, griff Alexandra nach dem Korb, leerte ihn über der Kühlerhaube und hängte ihn anschließend an den Lenker. Dann bestieg sie, ohne Harris Zimmering noch eines Blickes zu würdigen, ihr Fahrrad und fuhr los. Der lose Schotter unter den Reifen verhinderte, dass sie an Fahrt gewann, jeder Tritt in die Pedale wurde zum Kraftakt, und schon nach kurzer Zeit stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Dem Geräusch nach hatte sich sein Auto noch keinen Zentimeter bewegt. Sie spürte, dass er ihr nachsah, und dieser Blick in ihrem Nacken machte sie hochgradig nervös. Auch wenn er höchst unverschämt gewesen war, hatte sie soeben einen Beamten geohrfeigt und vermochte sich gar nicht auszumalen, was für Konsequenzen es nach sich ziehen könnte, wenn Harris Zimmering sie wegen Beamtenbeleidigung anzeigte. Sie sollte sich also dringend entschuldigen. Obwohl es ihrem Innersten widersprach, hielt sie an und stieg vom Rad. Der Polizeiwagen stand noch immer an der gleichen Stelle.
»Er wird doch wohl nicht verlangen, dass ich umkehre und zu ihm krieche«, murmelte Alexandra und wartete darauf, dass er losfuhr. Eine gefühlte Ewigkeit lang passierte nichts, dann fuhr der Wagen mit durchdrehenden Reifen an. Eine dichte Staubwolke hinter sich herziehend, raste das Auto direkt auf Alexandra zu.
»Macho«, dachte sie geringschätzig, während sie nach dempassenden Anfang einer nicht allzu kleinmütigen Entschuldigung suchte. Das Auto war jetzt keine fünfzig Meter mehr von ihr entfernt, und wenn Harris Zimmering nicht endlich das Tempo drosselte, würde sie sich wohl nur noch mit einem Sprung zur Seite retten können. Zunehmend verunsichert musterte sie den Wegesrand.
»Er ist ein Bulle. Er wird es nicht darauf ankommen lassen«, betete sie vor sich hin, »und außerdem sind wir hier nicht im Wilden Westen.«
Mit Erleichterung hörte sie laute Bremsgeräusche. Als sie den Kopf hob, sah sie gerade noch, wie der Wagen keine zwanzig Meter vor ihr nach rechts in einen kleinen Waldweg abbog. Mit offenem Mund verfolgte sie ihn, bis das Dickicht der Bäume die Sicht endgültig versperrte. Plötzlich war es totenstill. Es dauerte eine Weile, bis Alexandra sich beruhigt und ihre Gedanken geordnet hatte. Warum zum Teufel hatte sie ihn geohrfeigt? Wie konnte sie nur so überreagieren? Mit ihm war, wie er selbst sagte, der Humor durchgegangen! Und wenn schon,
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