Nachts unter der steinernen Bruecke
auch einmal etwas anderes sehen als dein Gesicht.«
Es gab - und es gibt heute noch — viel hundert Kruzifixe und steinerne Heilige in der Stadt Prag, sie stehen leidend, segnend oder beschwörend auf den Plätzen und in den Nischen und Winkeln; vor den Kirchenportalen stehen sie, vor den Hospitälern, vor den Armenhäusern und auf der steinernen Brücke. Und wo die Kroaten an solch einem Bildwerk vorüberkamen, fielen sie auf die Knie und murmelten Gebete oder sangen Litaneien, und der Collalto hatte eine kurze Rast. Anfangs nahm dies der Baron Juranic gelassen hin, er wußte, in den heiligen Dingen war mit den Kroaten nicht zu spassen. Dann aber begann es ihn immer mehr zu verdrießen, daß seine Diener in ihrer frommen Einfalt seinem Feinde solchen Beistand taten, und er dachte nach, wie dem abgeholfen werden könnte. Und da, wie er so nachsann, kam ihm ein Gedanke, der erschien ihm so über die Maßen spaßhaft, daß er laut auflachte. Ja, das sollte der letzte Streich sein, den er in dieser Nacht dem Collalto spielen wollte. In den Gassen der Judenstadt sollte der Collalto seine Sarabande tanzen, denn dort gab es keine Kruzifixe und keine Heiligenfiguren.
Damals war die Prager Judenstadt noch nicht mit einer Mauer umgeben, die wurde erst in der Zeit der Schwedenbelagerung errichtet. Man konnte aus den Gassen der Altstadt in die Judenstadt gelangen, ohne erst an ein verschlossenes Tor pochen zu müssen. Und so führte der Baron seine Schar durch das Valentinsgäßlein in das Judenquartier, durch enge und verschlungene Gassen ging es, an der Friedhofsmauer entlang bis an das Moldauufer und wieder zurück, vorbei am Judenbad, vorbei am Rathaus, vorbei am Backhaus, an den versperrten Fleischbänken vorbei und über den Trödelmarkt, der verlassen dalag, und die Musikanten spielten und der Collalto tanzte, und kein Heiligenbild, das ihm Rast verschafft hätte, lag auf diesem Wege. Hier und dort wurde, wenn der Zug vorüberkam, ein Fenster geöffnet, verschlafene und verängstigte Gesichterblickten hinaus, und das Fenster schloß sich wieder. Hier und dort bellte ein Hund, dem der Zug verdächtig erschien, Und wie nun die beiden Fackelträger und die Musikanten hinter ihnen aus der Zigeunergasse in die Breite Gasse einbogen, dort wo das Haus des hohen Rabbi Loew lag, da war der Collalto am Ende seiner Kräfte. Er stöhnte, taumelte, griff sich an die Brust und schrie mit schwacher Stimme um Hilfe.
Der hohe Babbi, der oben in der Stube über den heiligen und zaubergewaltigen Büchern saß, hörte diese Stimme, und er wußte, daß sie aus den Tiefen der Verzweiflung kam.
Er trat ans Fenster, beugte sich hinaus und fragte, wer da rufe und womit ihm geholfen sein könnte.
»Ein Jesusbild!« keuchte der Collalto mit seinem letzten Atem und dabei tanzte und taumelte er immer noch weiter, »um der Liebe Gottens willen, ein Jesusbild, oder es ist aus mit mir.«
Der hohe Babbi Loew umfaßte mit einem Blick die Fakkelträger und die Musikanten, den tanzenden Collalto, die beiden Lakeien mit den Terzerolen und den lachenden Baron, und mit diesem einen kurzen Blick war es ihm klar geworden, warum dieser Tanzende nach einem Jesusbild schrie, und daß ein Mensch aus Todesnot zu retten war.
Gegenüber, auf der anderen Seite der Gasse, war ein Haus durch Feuer zerstört, und nur eine einzige Mauer stand noch aufrecht, die war vom Alter und von Rauch geschwärzt. Und auf diese Mauer wies der hohe Rabbi mit seiner Hand. Auf dieser Mauer ließ er durch seine zauberische Kraft aus Mondlicht und Moder, aus Ruß und Regen, aus Moos und Mörtel ein Bild entstehen.
Es war ein »Ecce homo«. Aber es war nicht der Heiland, nicht der Gottessohn, auch nicht der Sohn des Zimmermanns, der aus dem galiläischen Gebirge in die heilige Stadt gekommen war, um das Volk zu lehren und für seine Lehre den Tod zu erleiden, — nein, es war ein »Ecce homo« von anderer Art. Doch solche Erhabenheit lag in seinen Zügen, so erschütternd war das Leiden, das aus seinem Antlitz sprach, daß der Baron mit seinem steinernem Herzen von einem Blitzschlag des Selbsterkennens getroffen wurde und als erster in die Knie sank. Und vor diesem »Ecce homo« klagte er sich an, daß er in dieser Nacht ohne Erbarmen und ohne die Furcht Gottes gewesen war.
Mein Hauslehrer, der stud. med. Jakob Meisl, der mir diese Geschichte wie viele andere aus dem alten Prag erzählt hatte, machte eine kurze Pause.
»Viel ist nicht mehr zu sagen«, beendete er dann seine
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