Nachts unter der steinernen Bruecke
»Es sind zwei von den Gärtnerburschen ganz in der Näh', die könnten Euch hören.«
Flüsternd fragte der van Delle, wie es oben stünde, ob der Lärm groß gewesen sei, und ob man ihn schon in den Herbergen und auf den Landstraßen suche.
Der Brouza stellte seinen Rückenkorb auf die Erde und wischte sich den Schweiß von der Stirne. Dann schlug er Feuer und machte Licht.
»Es hat keinen Lärm gegeben«, berichtete er. »Sie wissen es noch gar nicht, daß Ihr fort seid.«
»So hat mich der Kaiser nicht zu sich befohlen?« rief der van Delle.
Der Brouza öffnete die Tür ein wenig und blickte hinaus. Die beiden Gärtnerburschen waren nicht mehr zu sehen. Man hörte ihre Stimmen aus einiger Entfernung.
»Sie sind fort«, sagte er. »Nein, der Kaiser hat nicht nach Euch gefragt.«
»Und er hat auch nicht den Palffy oder den Malaspina zu mir geschickt?« wollte der van Delle wissen.
»Nein, keiner von des Kaisers Kammerherren kam, um nach Euch zu sehen«, sagte der Brouza.
»Ich kann das nicht verstehen«, rief mit Kopfschütteln der van Delle. »Ist heute der St. Wenzelstag oder wessen Tag ist heute?«
Der Brouza traf die Vorbereitungen zum Abendessen. Er rückte den Tisch in die Nähe des van Delle und legte ein weißes Tuch auf.
»Vielleicht hat der Kaiser, weil eben heute St. Wenzelstag ist, nicht Zeit gefunden, sich um Euch zu bekümmern«, meinte er. »Denn der St. Wenzelstag ist für ihn immer ein verdrießlicher Tag. Er soll mit der brennenden Kerze in der Hand in der Prozession gehen, sich der Menge zeigen, und das tut er nicht gerne. Der Herr Erzbischof und der Bischof von Olmütz waren beide in Audienz bei ihm, haben ihm beweglich vorgetragen, wie mein in einer Zeit, da der Utraquismus überall im Königreich sein ketzerisches Haupt erhebe, dem frommen katholischen Volk das gewohnte Schauspiel und Gepränge nicht vorenthalten dürft' und wie auch sein Vater, der verewigte und in Gott ruhende Kaiser Maximilian II., es niemals unterlassen hätt', an des heiligen Wenzels Tag in der Prozession zu gehen.«
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann holte er aus seinem Korb ein Fischgericht hervor, eine kalte Platte, gesottene Eier, Früchte, Käse und eine Kanne Wein.
»Morgen«, sagte er, als müsse er den van Delle beruhigen und trösten, »wird Seine Majestät sich gewiß daran erinnern, daß Ihr Euren Kopf verwettet und verloren habt.«
Siebzehn Tage blieb der van Delle in seinem Asyl, in der Hütte des Brouza, siebzehn Tage lang ereignete sich nichts, es schien, als ob der Kaiser ihn vergessen hätte. Anfangs fiel es ihm schwer, den Tag in Müßiggang und mit Träumereien zu verbringen, dann aber fand er Mittel, sich die Zeit ein wenig zu vertreiben. Er beobachtete die Ameisen in der Hütte, von denen es zwei Arten oder Völker gab, die roten und die braunen, und sie glichen darin den Menschen, daß die einen mit den andern nicht Frieden halten konnten, sondern sie stellten einander mit meuchlerischen Anschlägen nach. Er sah das Netz der Spinne und wie die kleinen Mücken in der Spinnwebe hängen blieben, indes die großen Wespen hindurchfuhren, auch wiederum ein Sinn- und Spiegelbild der Zeit und der menschlichen Dinge. Er lernte, daß, wenn er dreimal den Rosenkranz betete und zweimal das Credo, just acht Minuten vergangen waren. Er übte sich im Gehen, erst mit Hilfe eines Stocks, dann ohne einen solchen, und des Nachts trat er bisweilen vor die Hütte und betrachtete den Sternenhimmel.
Mit dem Brouza, der hin und wieder auch tagsüber in die Hütte kam, denn Vorsicht war nun minder nötig, führte er lange Gespräche. Uber die Natur der Menschen, und wie auch das Glück der Mächtigen und Reichen nur armselig sei, gemessen an der Unersättlichkeit ihrer Wünsche. Über die großen Kräfte, die in Edelsteinen und Metallen, im Blut gewisser Tiere und in den Pflanzen, die man bei Vollmond pflückte, verborgen lagen. Von einem Meerfisch berichtete er ihm, den die Gelehrten »Uranoscopus« nannten, der habe nur ein Auge und mit diesem blicke er immerdar den Himmel an, und die Menschen, begnadet mit zwei Augen, täten dies nicht. Er wies dem Brouza zwei Gestirne, die sich unablässig nach Osten bewegten, einem unbekannten Ziel zustrebend, der eine in höchster Eile fliehend, der andere in Verfolgung. Und dieses Zeichen, sagte er, bedeute den Tod hoher Prinzen, Verräterei der Bedienten, Veränderung in der Religion und in der Regierung vieler Länder, kurz, großen Jammer. Der Astrologe könne diese
Weitere Kostenlose Bücher