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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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ich dir gesagt, es ist hier nicht geheuer, — warum willst du nicht auf mich hören? Sie feiern ihr Fest, — was haben wir dabei zu tun? Komm, wir wollen gehen. Es ist kalt geworden und ein Schluck Branntwein aus deinem Krug, gestohlen oder nicht gestohlen, täte uns, bevor wir zu Bett gehen, beiden gut.«
»Ich bleibe«, erklärte der Koppel-Bär. »Ich will doch sehen, was daraus wird. Wenn du Furcht hast, dann geh!«
»Um deinetwillen hab' ich Furcht«, jammerte der Jäckele-Narr. »Du sollst leben hundert Jahr', aber du weißt, was der Arzt gesagt hat und wie es mit deiner Gesundheit bestellt ist. Ich will's nicht hören, daß sie dich rufen.«
»Hab um meinetwillen nicht Furcht«, sprach ihm der Koppel-Bär zu. »Oft lebt ein alter Scherben länger als ein neuer Topf. Und was kann mir denn geschehen, als daß ich befreit werde aus der Enge und erlöst aus der Hast.«
»Da sieht man wieder, wie du immer nur an dich denkst«, rief erschreckt und verstört der Jäckele-Narr. »Du wirst befreit sein und erlöst sein, aber was aus mir wird, wenn ich ohne dich zurückbleibe, danach fragst du nicht. Eine schöne Treue und brüderliche Liebe, die du mir da bezeigst!«
»Sei still!« gebot ihm der Koppel-Bär. »Sie haben aufgehört zu singen, das >Owinu Malkenu< ist zu Ende.«
»Jetzt—«, sagte mit stockendem Atem der Jäckele-Narr, »jetzt rufen sie zur Thora.«
Und wie er das gesagt hatte, da erhob sich unten in der unsichtbaren Versammlung eine Stimme:
»Den Schmaje, Sohn des Simon, rufe ich. Den Metzger.«
»Der die Fleischbank in der Joachimsgasse hat«, fügte eine andere Stimme erläuternd hinzu, so als wolle sie verhüten, daß in dieser Sache eine Verwechslung unterlaufe.
»Schmaje, Sohn des Simon! Du bist gerufen«, erklang die Stimme des ersten Sprechers nochmals, und dann war Stille.
»Schmaje, Sohn des Simon, — das ist der Metzger Nossek. Ich kenn' ihn und du kennst ihn auch«, sagte der Koppel-Bär. »Er schielt ein wenig, doch er hat ehrlich Fleisch verkauft sein Leben lang, hat immer richtiges Gewicht gegeben.«
»Komm weg von hier! Ich will hier nichts mehr hören«, rief der Jäckele-Narr.
»Und jetzt liegt er«, sprach der Koppel-Bär weiter, »in seiner Stube und schläft und weiß nicht, was über ihn beschlossen ist, und daß der Todesengel Gewalt über ihn bekommen hat. Und morgen in der Früh' erhebt er sich wie alle Tage und geht wie alle Tage an seine Arbeit. Spreu sind wir Menschenkinder, der Engel des Herrn bläst uns hinweg. — Meinst du nicht, daß wir dem Schmaje Nossek schuldig sind, ihm zu sagen, was wir vernommen haben und daß er sich bereit halten muß, bald aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit zu gehen?«
»Nein«, entschied der Jäckele-Narr. Zu solcher Botschaft sind wir nicht bestellt. Auch würde er uns nicht glauben, daß sein Name gerufen worden ist, er würde sagen, wir hätten uns verhört, oder vielleicht sogar, wir hätten's nur geträumt. Denn die Menschen sind so geartet, daß sie auch in ihrer schlimmsten Not ein Fünkchen Hoffnung zu finden und es anzufachen wissen. Komm jetzt, Koppel-Bär, denn wenn sie dich riefen, — ich könnt' es nicht ertragen.«
»Den Mendl, Sohn des Ischiel, rufe ich. Den Goldschmied«, ertönte in diesem Augenblick die Stimme des Unbekannten, der zur Thora rief.
»Der auch Perlen, einzeln oder nach dem Unzengewicht, kauft und verkauft«, ließ sich die andere Stimme vernehmen. »Der das Haus und den Laden in der Schwarzen Gasse hat.«
»Mendl, Sohn des Ischiel! Du bist gerufen«, ertönte die erste Stimme nochmals.
»Das ist der Mendl Raudnitz«, sagte, wie wiederum Stille war, der Koppel- Bär. »Um den wird es nicht gar viel Klagens geben. Sein Weib ist ihm gestorben, und mit seinen Kindern lebt er seit Jahren in Unfrieden. Er ist ein strenger und harter Mann, und wenn er an den Feiertagen auf seinem Platz in der Schul sitzt, zankt er sich mit seinen Nachbarn. Er hat keinem Menschen jemals etwas Gutes getan und sich selbst auch nicht. Vielleicht sollten wir ihm sagen, daß er gerufen ist und daß es Zeit für ihn wäre, sich mit seinen Kindern zu versöhnen.«
»Nein«, entschied der Jäckele-Narr. »Koppel-Bär, du kennst die Menschen nicht. Er würde sagen, es sei nicht wahr und wir hätten es aus Bosheit erfunden, um ihn zu erschrekken. Er wird niemals glauben, daß es die Wahrheit ist, er wird eine Lüge finden und sich mit ihr getrösten. Denn er will auch nicht gerne von dieser Welt scheiden und von dem Gold und dem Silber in

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