Nachts unter der steinernen Bruecke
finden, aber einem anderen war es gelungen. Strebend und immer wieder enttäuscht war er über all seiner Müh' ein alter Mann geworden. Was blieb ihm noch im Leben? Hoffnung? Welches Ziel?
Er neigte sich im Geiste vor dem großen, unbekannten und geheimnisvollen Alchimisten, der glücklicher als er gewesen war. Noch einmal blickte er auf sein vergangenes Leben zurück. Es erschien ihm nichtig. Mit seinem Schermesser schnitt er sich die Pulsadern auf.
Der Brouza fand ihn in seinem Blute liegend und ohne Bewußtsein. Er schrie und wollte fort, um Hilfe holen, aber er besann sich. Er nahm eines der Hemden des verstorbenen Kaisers, riß es in Streifen und verband die Handgelenke des van Delle, daß das Blut nicht weiterrinnen sollte. Dann lief er, um einen Arzt herbeizuschaffen.
Der Arzt kam, aber aus dem van Delle war jegliches Leben geschwunden.
Als man ihn am Abend forttrug, um ihn in geweihter Erde zu bestatten, da ging der Brouza hinter der Leiche und schrie, heulte und gebärdete sich unsinnig und wütete gegen sich, so wie er einst geschrien, geheult und gegen sich gewütet hatte, als man seinen Herrn, den Kaiser Maximilian, mit großem Gepränge hinüber nach St. Veit zu Grabe trug.
Der Branntweinkrug
In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen. Es ist ihnen wie den Lebendigen ein Neujahrsfest vergönnt, und sie feiern es in der Altneuschul, dem uralten Hause Gottes, das bis zur halben Höhe seiner Mauern in die Erde versunken scheint. Und wenn sie das Loblied »Owinu Malkenu« — »unser Vater und König« - gesungen und den Almenor dreimal umschritten haben, rufen sie zur Thora. Die, deren Namen sie rufen, weilen noch im Reich der Lebendigen. Doch müssen sie dem Ruf gehorchen und zu denen, die sich da versammelt haben, stoßen, ehe noch das Jahr zu Ende ist, denn ihr Tod ist oben beschlossen.
In dieser Nacht, zu später Stunde, gingen die beiden Hochzeitsmusikanten und Spaßmacher, der Jäckele-Narr und der Koppel-Bär, zwei alte müde Männer, miteinander streitend und einander scheltend durch die Gassen der Judenstadt. Sie hatten bei einer Hochzeitsfeier in der Altstadt für einen Viertelgulden zum Tanz aufgespielt, der JäckeleNarr auf der Geige, der Koppel-Bär auf der Maultrommel, denn die jüdischen Musikanten standen, weil sie die neuesten Tänze kannten, auch bei den Christen in gutem Ansehen. Nach Mitternacht aber war unter den Gästen, von denen einige dem starken Prager Altbier und danach dem Branntwein über Gebühr zugesprochen hatten, eine Schlägerei entstanden, und wie die erste Bierkanne durch die Luft sauste, hatten die beiden Musikanten mit ihren Instrumenten das Weite gesucht, denn wenn Esau trinkt, so sagten sie sich, bekommt Jakob die Prügel. In dem allgemeinen Durcheinander aber hatte Koppel-Bär ein Krüglein mit Branntwein beiseitegebracht und mit sich gehen lassen, und um dieses Branntweins willen war es jetzt zwischen den beiden zu einem Streit gekommen. Nicht daß der Jäckele-Narr sich und dem Koppel-Bär einen Schluck Branntwein vom Hochzeitstisch mißgönnt hätte. Aber dem Koppel-Bär war der Genuß starker Getränke untersagt, denn er war ein Jahr zuvor von einem Schlagfluß gerührt worden und wochenlang darnieder gelegen und noch jetzt zog er beim Gehen den linken Fuß nach. Er hielt sich freilich nicht an das Verbot, er lachte darüber, die lahmen Hunde, sagte er, lasse der Tod am längsten leben. Aber der Jäckele-Narr war aus Sorge um das Leben und die Gesundheit seines Freunds beinahe hypochondrisch geworden.
»Du bist ein arger Dieb, ich schäme mich deiner«, hielt er ihm vor. »Nichts ist vor deinen Diebsfingern sicher. Du würdest, wenn niemand hinsieht, die fünf Bücher Moses stehlen mitsamt dem achten Gebot. Wenn es wenigstens .. . es gab dort eine Sorte Fladen mit Honig und Mohn, die der Tafel eines Königs würdig gewesen wären, und wir haben für den Sabbat nichts im Hause als eine Schüssel Bohnen und ein Stückchen Fisch. Aber Branntwein? Was soll uns der Branntwein? Dir ist er verwehrt und mir ist er zuwider.«
»Dir ist der Branntwein so zuwider wie dem Bären der Honig«, meinte der Koppel-Bär. »Und du weißt auch, daß geschrieben steht: Branntwein zum Fisch macht fröhlich den Tisch. Den Fisch hat Gott uns gegeben. Den
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