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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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Jäckele-Narr. »Ich ein bissei, du ein bissei, und eh' du's merkst...«
»... ist leer die Schüssel«, fügte der Koppel-Bär, da sein Geselle stockte und nicht weiterkam, den Vers zu Ende.
»Die Schüssel?« rief der Jäckele-Narr. »Welche Schüssel? Wer trinkt denn Branntwein aus einer Schüssel?«
»Man könnte ihn recht gut auch aus einer Schüssel trinken«, wehrte sich der Koppel-Bär. »Aber wie du willst, es geht auch so: Ich einen Zug, du einen Zug, mit einemal ist leer.. . Nun?«
»... der Krug«, beendete der Jäckele-Narr mit einem Wiegen des Kopfes, das Anerkennung bedeutete, den Vers.
»Ja, — aber wo ist er? Ich habe ihn nicht mehr«, wehklagte der Koppel-Bär. »Ich muß ihn, als die unten deinen Namen riefen, in meinem Schrecken fallen gelassen haben.«
Der Jäckele-Narr kroch auf allen vieren, tastete die Erde ab und stieß auf den Krug.
»Da ist er«, sagte er und richtete sich auf. »Koppel-Bär, das Herz ist mir stillgestanden. Gelobt sei Gott, daß er es bei dem Schrecken hat bewenden lassen. Ich meinte schon, er sei zerbrochen.«
    Die Getreuen des Kaisers
    Am Abend des 11. Juni 1621— neun Jahre nach des Kaisers Tod — begab sich der Anton Brouza, der einstmals Narr, später Ofenheizer auf der Prager Burg gewesen war und sich nunmehr den »vertrauten Freund der verewigten Majestät« nannte, auf seinen gewohnten Weg, der ihn von seiner Behausung auf dem Hradschin über winkelige Treppen, durch Torbogen, Durchlässe und steile Gäßchen in eines der Kleinseitner Wirtshäuser führte, in denen er seine Späße an den Mann zu bringen und auf Kosten anderer eine Mahlzeit einzunehmen pflegte, denn sein eigenes Geld gab er nur ungern aus. Seine Wahl war diesmal auf das Wirtshaus »Zum silbernen Hecht« gefallen, das auf der Insel Kampa lag, denn hier war er schon einige Wochen lang nicht gewesen, auch behandelte der Hechtwirt, der als Sechzehnjähriger Küchenjunge in der Prager Burg gewesen war, ihn, den kaiserlichen Ofenheizer, mit besonderer Hochachtung.
    Seit der Schlacht am Weißen Berg, in der sich das Schicksal Böhmens entschieden hatte, war ein halbes Jahr vergangen, und in dieser Zeitspanne war allerlei geschehen. Die böhmischen Stände hatten ihre verbrieften alten Bechte und Freiheiten verloren. Der letzte böhmische König, den man den Winterkönig nannte, war auf der Flucht, und in der Prager Burg residierte ein kaiserlicher Kommissär. Um den Besitz der Kirchen, die man den Protestanten und den »böhmischen Brüdern« weggenommen hatte, stritten sich jetzt die Jesuiten mit den Dominikanern und den Augustinern. Die protestantischen Prediger hatte man des Landes verwiesen. Wer an dem Aufruhr von 1618 teilgenommen hatte, ja, wer auch nur im Verdacht stand, ihn gutgeheißen oder die Rebellen begünstigt zu haben, wurde eingekerkert, und wenn er mit dem Leben davonkam, so verfiel doch sein Hab und Gut dem Fiskus. So verarmten alte Geschlechter und ihre Namen verschwanden aus der Geschichte Böhmens.
    Andere Namen waren bestimmt, im Gedächtnis des Volkes weiterzuleben. So die Namen der 27 Personen des Herren-, Ritter- und Bürgerstands, die in den frühen Morgenstunden eben dieses Tages, des 11. Juni 1621, auf dem Altstädter Ring als Hochverräter hingerichtet worden waren. Unter ihnen befanden sich der Führer des protestantischen Adels, Graf Schlick, ein Deutscher, das Haupt der »böhmischen Brüder«, Herr Wenzel Budowetz auf Budow, der aus seinem brandenburgischen Asyl nach Böhmen zurückgekehrt war, um, wie er sagte, seine Heimat jetzt, da sie in Not sei, nicht im Stiche zu lassen, Dr. Jessenius, der berühmte Arzt und Anatom, der als erster in Böhmen öffentlich einen Leichnam seziert hatte, und der Präsident der böhmischen Hofkammer, Christoph Harant, Herr auf Pohlitz, der in seiner Jugend die Länder der Levante bereist und über seine Abenteuer in Ägypten, Palästina und Arabien ein zweibändiges Werk in böhmischer Sprache verfaßt hatte.
    Angst, Beklemmung und Niedergeschlagenheit sprachen aus den Gesichtern der Menschen, denen der Brouza auf seinem Weg begegnete. Dies aber schien ihm seine Aussicht, eine Mahlzeit zu erlangen, eher zu vermehren, als zu vermindern. Er kannte die Menschen, er wußte, daß an solch einem Tag keiner gern allein blieb. Viele wollten die Meinung anderer Leute hören, die sie für besser unterrichtet hielten, viele die eigene zur Geltung bringen, jeder erwartete vom anderen ein wenig Trost, Zuspruch und Ermutigung, und so zog es sie alle

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