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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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Branntwein war er uns noch schuldig. Und so hab' ich ein gutes und verdienstliches Werk getan, indem ich von Esaus Tisch nahm, was für Jakob bestimmt war, denn Gott will, das wir den Sabbat in Fröhlichkeit begehen.«
    »Aber nicht mit gestohlenem Branntwein«, fuhr ihn der Jäckele-Narr entrüstet an.
    »Um die Wahrheit zu sagen, — ich hab' den Branntwein nicht gestohlen«, erklärte ihm der Koppel-Bär, »ich wußte gar nicht, daß Branntwein in dem Krug ist. Es war mir nur um den Krug zu tun, ich wollt' verhüten, daß einer von den Gewalttätern dort einem anderen mit dem Krug den Kopf zerschlägt. Ich habe also, indem ich den Krug zu mir nahm, einem Menschen aus höchster Not geholfen und ihm Leben und Gesundheit gerettet. Nenn du es, wie du willst, Jäckele-Narr, — ich nenn' es ein verdienstliches Werk. Und den Branntwein habe ich obendrein.«
    »Möge er dir in der Kehle steckenbleiben!« sagte zornig und verdrossen der Jäckele-Narr.
»Gott behüte!« rief der Koppel-Bär. »Du sagst, ich soll ersticken, da Gott mich will erquicken? Nimm dich in acht, Jäckele-Narr, du weißt, die ersten Stunden nach Mitternacht, wenn der Hahn auf einem Fuß steht und sein Kamm ist so weiß wie Wolfsmilch, - das sind die Stunden Samaels, da gehen die bösen Wünsche in Erfüllung.«
»So wünsch' ich«, sagte der Jäckele-Narr, »du gingest mit deinem Branntwein zum Henker und brächest dir auf dem Wege Hals und Bein und kämest mir nicht mehr vor die Augen.«
»So geh' ich also«, sagte in weinerlichem Ton der Koppel-Bär, »und komm' nicht wieder und du hast mich in diesem Leben zum letztenmal gesehen.«
Er tat, als ginge er, und den Branntweinkrug nahm er mit sich.
»Bleib!« schrie der Jäckele-Narr. »Wohin willst du im Dunkeln laufen?«
»Dir kann man es nicht recht machen«, klagte der Koppel-Bär und er ging an des Jäckele-Narr Seite weiter. »Bin ich bei dir, schickst du mich zum Henker. Geh' ich, schreist du: Bleib, wo du bist. Sitz' ich, sagst du, ich vertrödel' die Zeit, lauf ich, heißt es, ich zerreiß' die Schuh'. Schweig' ich, fragst du: Bist du stumm? Red' ich was, so nimmst du's krumm. Bring' ich Seide, willst du Zwilch, bring' ich Bier, verlangst du Milch. Koch' ich Kraut, so willst du Zwiebel, ist mir wohl, so ist dir übel. Mach' ich Knödel, willst du Grütze, heiz' ich ein, schreist du ...«
»Schweig still!« unterbrach ihn der Jäckele-Narr. »Siehst du nichts? Hörst du nichts?«
»... ich schwitze«, beendete der Koppel-Bär seinen gereimten Singsang, und dann blieb er stehen und horchte.
Sie hatten die Breite Basse überquert, waren durch das Belelesgäßchen gegangen und standen jetzt vor dem verfallenen, schwärzlich-grauen Mauerwerk der Altneuschul. Da war ein leises Singen und Summen zu vernehmen, und aus den schmalen Fenstern des Gotteshauses kam ein Lichtschein.
»Das ist doch sonderbar, daß da drinnen noch Leut' sind zu so später Stunde«, meinte der Koppel-Bär.
»Sie singen das >Owinu Malkenu<, als wäre heut Neujahr«, flüsterte der Jäckele-Narr. »Komm, gehen wir! Es will mir hier nicht gefallen.«
»Sie haben die Kerzen angezündet und singen«, sagte der Koppel-Bär. »Ich muß doch sehen, wer die Leut' sind. Ich muß doch wissen ...«
»Was brauchst du zu sehen, was brauchst du zu wissen!« redete der Jäckele-Narr auf ihn ein. »Komm, sag' ich dir. Es ist hier nicht gut sein.«
Doch der Koppel-Bär hörte nicht auf ihn, er ging über die Gasse auf die Fenster zu, aus denen der Lichtschein kam. Der Jäckele-Narr folgte ihm mit schlotternden Gliedern. So groß seine Furcht auch war, den Freund und Gefährten so vieler Jahre wollte er dennoch nicht allein lassen. Die Geige, die in ein Stück schwarzen Tuchs gehüllt war, trug er unter dem Arm.
»Ich mein', daß es da nicht richtig zugeht«, sagte der Koppel-Bär, der an eines der Fenster getreten war und hinabblickte. »Die Kerzen brennen und ich höre Stimmen und allerlei Geräusch, aber keine Menschenseele ist zu sehen. Und einer hustet so, wie der Neftel Gutmann selig gehustet hat, du weißt, unser Nachbar, der Lebkuchenbäcker, den sie im vorigen Jahr hinausgetragen haben.«
»Möge er unser im Guten gedenken!« sagte am ganzen Leib zitternd der Jäckele-Narr, und die kalten Schweißtropfen traten ihm auf die Stirne. »Er hustet also auch im ewigen Leben, der Neftel Gutmann. Ob er wohl dort auch Lebkuchen backen darf? Und wenn er sie bäckt, — wer nimmt ihm sie ab? Koppel-Bär, ich habe Furcht. Komm fort von hier, hab'

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