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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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Ereignisse wohl voraussehen, aber nicht abwenden. Denn die höchste Weisheit, die zu erlangen sei, liege beschlossen in den Worten: Herr, Dein Wille geschehe, so im Himmel, wie auch auf Erden.
    Der Brouza wiederum berichtete dem van Delle, daß der Kaiser höchst ungehalten sei über den Erzbischof von Prag, den Olmützer Bischof und den heiligen Wenzel, denn er habe sich bei der Prozession mit dem Kerzenlicht den Bart versengt. Er habe ferner der Hofküche zwei Dukaten bewilligt, um die Klauen der Wildschweine, die auf die kaiserliche Tafel kamen, zu vergolden. Und daß die Metzger der Judenstadt, die das Fleish für die Fütterung der im Hirschgraben gehaltenen wilden Tiere beizustellen gehalten waren, an das Obersthofmeisteramt einen Brief gerichtet hatten, der mit Segenswünschen und einer Anrufung Gottes in hebräischer Sprache begann, und die hebräischen Schriftzeichen sähen Schüreisen, Krückstöcken, Ofenröhren und Mehlschaufeln gleich.
    Am achtzehnten Tag kam der Brouza zu einer ungewohnt frühen Stunde schon am Vormittag in die Hütte.
»Herr«, sagte er, als er die Tür hinter sich zugezogen hatte, »ich habe kaum Atem, so eilig bin ich zu Euch gelaufen.«
»Und was bringst du für Nachricht?« fragte der Alchimist.
»Die allerbeste, die Ihr Euch wünschen könnt«, gab der Brouza zur Antwort, und dann berichtete er, daß die beiden Hakenschützen, die vor der Tür der Werkstatt postiert waren, ihrem Leutnant gemeldet hätten, daß er, der van Delle, sich schon seit zwei Wochen nicht gezeigt habe, auch sonntags nicht wie gewohnt zur Messe gegangen sei. Der Leutnant habe das dem Kommandanten der Leibwache rapportiert und hinzugefügt, daß die Türe versperrt sei, und daß auf Pochen keine Antwort käme. Der Kommandant der Leibwache habe dem Obersthofmarschall Meldung erstattet und dieser habe die Tür der Werkstatt gewaltsamm öffnen lassen.
»Das heißt also«, unterbrach ihn der van Delle, »daß sie vielleicht jetzt schon auf der Suche nach mir sind.« »Nein«, sagte der Brouza. »Hört nur weiter. Als man dem Kaiser hinterbrachte, daß Ihr fort seiet, blickte er kaum auf. Er legte seine Hand zuerst an die Stirn und dann auf sein Ohr, wollte damit sagen, der Kopf schmerze ihn und er wolle nichts weiter hören. Dann fuhr er fort, das Werk einer Uhr zu zerlegen, damit hat er sich den ganzen Morgen beschäftigt. Aber der Phillip Lang, der dabei stand, sagte, man solle Seine Majestät mit der Sache nicht turbieren, Seine Majestät bedürfe Eurer nicht mehr, er habe einen anderen Goldmacher in Dienst genommen, der verstünde diese Kunst besser als alle Philosophen, Alchimisten, Schwarzkünstler und Zigeuner.«
»Einen anderen Goldmacher?« rief der van Delle aufs höchste erregt. »Wie heißt er? Woher kommt er? Wo befindet er sich?«
»Das weiß ich nicht«, erklärte der Brouza. »Der Philipp Lang wollt' es mir nicht sagen, er macht, scheint es, ein großes Geheimnis daraus. Aber es muß wohl wahr sein, denn seit Wochen hat der Kaiser alle Taschen voll Gold, und er gibt es aus, als hätte er noch viel mehr zu erwarten, versteckt es nicht, wie vordem, in Ritzen und Spalten. Erst gestern hat er fünfzehn Dukaten für ein Konterfei Christi bezahlt, er hat ihrer schon ein Dutzend, aber er kann ihrer gar nicht genug bekommen. Ich sag', ein Narr soll nicht kaufen und ein Blinder nicht laufen. Wenn ich ihm morgen einen groben Kiesel hinaufbring', und sag', das sei der Stein, auf dem der Patriarch Jakob gesessen sei, als er die Himmelsleiter sah, — ich wett' mit Euch, er kauft ihn.«
Der van Delle schwieg und starrte vor sich hin. Nach geraumer Zeit erst schien er wie aus einem Traum zu erwachen. Er bat den Brouza, er möge ihn allein lassen, er müsse mit sich zu Rate gehen, was nun zu tun sei. Er ergriff die Hand des Brouza, drückte sie und dankte ihm dafür, daß er soviel getan habe und daß er sogar bereit gewesen sei, sein Leben einzusetzen, um ihn zu retten.
»Das Gott erbarm', was ist da groß zu danken?« meinte der Brouza verlegen und verwirrt. »Ihr wißt, wie ich Euch zugetan bin. Euch zuliebe würde ich auch Kettensklave werden.«
Als der van Delle dann allein war, kam ein Ubermaß von Schwermut über ihn. Mit unüberwindlichem Schmerz wurde er dessen inne, daß sein Leben sinn- und wertlos gewesen war. Es war ihm nicht gelungen, das große Magisterium, die Blei in Gold verwandelnde Essenz, die man auch den »roten Löwen«, das »fünfte Element« und die »Taube des Trismegistos« nannte, zu

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