Nachts unter der steinernen Bruecke
Herzliebste, von der der Philipp Lang geredet hatte, als ihm vom Wein die Zunge gelöst war. Und Worte tauchten in seiner Erinnerung auf, die sie im Schlaf an seiner Seite gesprochen oder geflüstert hatte, die Herzliebste des Kaisers. Jetzt wußte er sie zu deuten, und es war ihm, als hätte er die Wahrheit schon immer erkennen müssen.
In seinem Herzen war Trauer, aber größer noch als die Trauer waren sein Haß und das brennende Verlangen, sich an dem Mann zu rächen, der ihm sein Weib genommen hatte.
Als er wieder in seinem Haus auf dem Dreibrunnenplatz war, hatte er seine Pläne gefaßt.
Von allem, was er an Geld und Gut hinterließ, gehörte dem Kaiser der halbe Teil. Darum durfte er nicht Geld noch Gut in der Welt zurücklassen.
Nicht viel Zeit war ihm gegeben. Er wußte, — reich zu werden, das war für ihn ein Leichtes gewesen, fast ein Spiel. Aber ein armer Mann zu werden, - konnte ihm das gelingen? Das Gold hing an ihm. Es mußte fort. Er mußte es von sich stoßen, es verschwenden, vergeuden, verschleudern bis auf den letzten halben Gulden. Er hatte Blutsverwandte: eine Schwester lebte, ein Bruder, drei Geschwisterkinder. Nichts von seinem Geld und Gut sollte in ihre Hände gelangen, denn von ihnen konnten es des Kaisers Richter und Räte mit Gefängnis und Folter leicht zurückgewinnen. Nur die geringen Dinge, die auch der ärmste Mann besaß, die sollten sie empfangen: das Bett, in dem er schlief, den Rock, in dem er ging, das pergamentne Betbuch.
Und wohin das Gold?
Ein Haus für die Armen in der Judenstadt. Ein Haus für Sieche. Ein Haus für Waisenkinder. Ein neues Rathaus. Ein Haus, darin zu lesen und zu lernen. Ein großes und ein kleines Gotteshaus. Alles nicht genug, noch immer würde Geld vorhanden sein. Dukaten in den Truhen, Güter in den Gewölben, Geld in anderer Leute Händen, — es mußte alles fort. Die engen, krummen Gassen der Judenstadt sollten gepflastert und beleuchtet werden. Mochte der Kaiser, mochten seine Räte nach den Pflastersteinen in der Judenstadt greifen!
Wenn ihm nur Zeit blieb, sein Geld und Gut von sich zu tun! Ein armer Mann zu werden, der nichts besaß, der nichts sein eigen nannte, das war der einzige Wunsch, der ihm geblieben war. Verzehrtes Lichtlein, du mußt brennen, bis es geschehen ist. Und dann .. .
Dann schlaf ein, Mordechai Meisl! Schlaf und vergiß deinen Kummer, schlaf und vergiß dein Leid! Verzehrtes Licht, erlisch!
Der Engel Asael
In den Nächten des Neumonds stieg aus den himmlischen Bereichen ein »Maggid«, ein lehrender Engel, nieder und trat in die Kammer des hohen Rabbi, den man die Krone und das Diadem nannte und den Feuerbrand und den Einzigen seiner Zeit. Er war gesandt, dem hohen Rabbi die verborgenen Dinge der oberen Welt zu offenbaren, die kein Lebender zu ergründen vermag. Und ihrer sind viele.
Der Engel kam nicht in menschlicher Gestalt. Nichts an ihm war so geschaffen, wie es die Augen der Menschen zu sehen gewohnt sind. Doch war er von großer Schönheit.
»In den Zeichen, aus denen Ihr die Worte formt«, belehrte er den hohen Rabbi, »sind die großen Kräfte und die Gewalten beschlossen, die die Welt in ihrem Gang erhalten. Und wisse, daß alles, was auf Erden zu Worten geformt wird, seine Spuren in der oberen Welt hinterläßt. Aleph, das erste der Zeichen, trägt die Wahrheit in sich. Beth, das zweite, die Größe. Ihr folgt die Erhebung. Die Herrlichkeit der Gotteswelt birgt das vierte Zeichen in sich, und das fünfte die Kraft des Opfers. Das sechste ist das Erbarmen. Nach ihm kommt die Reinheit, dann das Licht. Das Eindringen und Erkennen. Die Gerechtigkeit. Die Ordnung in den Dingen. Die ewige Rewegung. Doch das letzte in der Reihe der Zeichen ist das erhabenste. Es ist das Taph, mit dem der Sabbat scheidet. In ihm ist das Gleichgewicht der Welt beschlossen, zu dessen Hütern die fünf Engel der höchsten Heiligkeit bestellt sind: Michael, der Herr des Gesteins und der Metalle, Gabriel, der über Mensch und Tier gesetzt ist, Rafael, dem die Gewässer gehorchen, Feliel, dem das Gras und alle Gewächse überantwortet sind, und Uriel, der über das Feuer gebietet. Sie wachen über das Gleichgewicht der Welt, und du, Leichtfertiger, ein Sandkorn, ein Sohn des Staubes, hast es dereinst gestört.«
»Ich weiß es, Asael«, sagte der hohe Rabbi zu dem lehrenden Engel, und seine Gedanken flogen zu dem Tag zurück, an dem der Römische Kaiser auf seinem weißen Zelter in die Judenstadt geritten war. Er, der hohe Rabbi, hatte
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