Nachts unter der steinernen Bruecke
während er so ging und träumte, trat ihm ein Mädchen, das wie ein Gärtnerjunge gekleidet war, in den Weg, warf sich vor ihm auf die Knie und rief mit ihrer hellen Stimme:
»Rudolfe, hilf!«
Der Kaiser fuhr zusammen, trat rasch einen Schritt zurück und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.
Das Mädchen, das vor ihm auf den Knien lag, war die Tochter eines seiner Feldobristen, eines verdienten Soldaten, der in türkische Gefangenschaft geraten war. Da er ein alter Mann war und von den Türken hart gehalten wurde, fürchtete sie, daß sie ihn nicht wiedersehen werde. Sie hatte nur einen Teil des Lösegelds aufzubringen vermocht. Schon einmal hatte sie vor dem Kaiser einen Fußfall getan, in den Stallungen bei den Pferden, zu denen sich der Kaiser bisweilen begab, und er hatte sie angehört und ihr zugesagt, daß er sich ihrer Sache annehmen werde. Doch es war nichts geschehen.
Der Kaiser erkannte sie nicht. Er hielt sie für einen Jungen aus der Hofküche, der—wie der Cervenka ihm berichtet hatte — schon zum zweitenmal beim Bratenwenden eingeschlafen war und nun auf Befehl des Obersthofmarschalls, der die Gerichtsbarkeit über das Hofgesinde ausübte, eine Tracht Stockschläge erhalten sollte.
»Du hast's zum zweitenmal getan«, sagte der Kaiser zu dem knienden Mädchen. »Tu's nicht wieder! Ich werd' mit dem Lichtenstein« — das war der Obersthofmarschall — »reden, daß er dir's erläßt. Du hast Schaden angerichtet. Geh und tu's nicht wieder!«
Er setzte mit raschen Schritten seinen Weg fort. Die Tochter des Obristen richtete sich auf und blickte verwirrt dem Kaiser nach. Er hatte in gnädigem Ton zu ihr gesprochen, hatte ihr auch eine Zusage gemacht, daß er mit irgendwem, der viel vermochte, über ihre Sache sprechen wollt', aber welchen Schaden sie angerichtet hatte, dadurch, daß sie zum zweitenmal vor den Kaiser getreten war, das begriff sie nicht. Oder hatte sie am Ende mit der Gartenschere einen von den Rosensträuchen verdorben? Und während sie darüber nachsann, trat einer der beiden Offiziere der Leibgarde auf sie zu, lüftete den Hut und bat sie mit der Höflichkeit, die er einer Standesperson schuldete, ihm zu folgen.
Ich werd' den Cervenka zum Lichtenstein schicken, sagte der Kaiser zu sich, der mag mit ihm reden und ihm meinen Willen in dieser Sache kundtun. Ich will ihn nicht sehen, von mir verlangt er Geld. Alle begehren sie Geld von mir, der Lichtenstein, der Nostiz, der Sternberg, der Harrach, die Leut' aus der Küche und die Leut' aus der Silberkammer, auch der Prediger in der Kapelle und seine Musikanten und Sänger, alle begehren sie Geld und mehr Geld und nochmals Geld, alle wollen sie ihren Teil an dem geheimen Schatz haben. Aber den laß' ich nicht antasten, den werd' ich bitterlich nötig brauchen, daß ich mich der brüderlichen Lieb' des Matthias erwehren kann.
Jetzt war er beim Löwenkäfig angelangt. Er nahm ein Stück von dem ungarischen Ochsenfleisch aus den Händen des Wärters und trat in den Käfig. Die Löwin, die ihn erwartet hatte, richtete sich auf und legte ihre Pranken sacht auf seine Brust. Sie nahm das Fleisch aus seiner Hand, indes der Löwe, um ihn zu begrüßen, sein gewaltiges Haupt an des Kaisers Schulter rieb.
Der Kaiser sprach mit seinen Löwen. Es war die Stunde des Tages, in der er leichten und frohen Herzens war. Er ahnte nicht, er konnte es nicht ahnen, daß er in dieser Stunde seinen geheimen Schatz für immer verloren hatte.
Rudolfe, hilf! — Der Mordechai Meisl, der vor dem Wärterhaus stand und sein Tüchlein vor den Mund hielt, weil der Husten über ihn gekommen war, hatte die Worte wiedergehört, die sein junges Weib, die Esther, gerufen hatte, als sie fühlte, daß der Todesengel nach ihr griff. Rudolfe, hilf! In den letzten Augenblicken ihres Lebens hatte sie dieses Mannes gedacht, der jetzt an ihm vorüberschritt.
Der Römische Kaiser auf seiner Burg war für ihn bis zu dieser Stunde nur ein Schemen gewesen, eine Macht, die man fühlte, ein ferner Glanz. Jetzt aber sah er ihn, - einen Mann, der mit kurzen, eiligen Schritten seinen Weg ging, die Schultern eingezogen, den Kopf gesenkt, und unter seinen Schuhen knirschte der Kies. Das war der Mann, der ihm das Liebste genommen hatte.
Denn der Gedanke hatte von ihm Besitz ergriffen, daß sein Weib, die Esther, die er nicht vergessen konnte, eines fremden Mannes schuldig geworden, daß sie des Kaisers Geliebte gewesen war, die Geliebte des Mannes, der dort dahinschritt, ja, die
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