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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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ihn mit der Thora in den Händen erwartet und die Worte des Priestersegens über ihn gesprochen. Und just diesen Ort und diese Stunde hatte ein Vertrauter des Kaisers, der Wuk von Rosenberg, der dem höchsten böhmischen Adel angehörte, ausersehen, um einen Anschlag auf das Leben des Kaisers zu verüben, denn er mißgönnte ihm die böhmische Krone. Einer seiner Diener hielt sich auf dem Dach eines Judenhauses verborgen. Er hatte aus dem Gemäuer einen schweren Stein gelöst, den ließ er, als die Trompeten erklangen und ringsum Jubel ausbrach, auf solche Art aus der Höhe fallen, daß er das Haupt des Kaisers treffen mußte. Und ohne sich zu vergewissern, welchen Ausgang die Sache nahm, eilte er sogleich hinab, um sich in Sicherheit zu bringen und um in den Gassen der Altstadt auszusprengen, die Juden hätten einen verräterischen und meuchlerischen Anschlag auf die Majestät verübt.
    Doch der hohe Rabbi hatte den Stein, der aus der Höhe fiel, gewahrt. Und mit der Gewalt, die ihm verliehen war, hatte er ihn in ein Schwalbenpaar verwandelt, das über dem Haupt des Kaisers dahinglitt, sich in die Höhe schwang und in den Lüften sich verlor.
    Der Engel war den Gedanken des hohen Rabbi vorausgeeilt. Er sprach:
»Als du aus einem toten Stein die Schwalben schufst, hast du in den Plan der Schöpfung eingegriffen und das Gleichgewicht der Welt gestört. Das Lebende in der Welt überwog das Tote. Du hast Michaels Herrschaftsbereich gemindert und den des Engels Gabriel gemehrt. So ist unter den fünf Engeln der höchsten Heiligkeit Zwietracht Y entstanden, denn auch die Engel Rafael, Uriel und Feliel ergriffen Partei und mengten sich in den Streit. Und hätte dieser Streit um ein weniges länger gewährt, dann hätten sich auf Erden die Flüsse und Ströme wider ihren Lauf erhoben, die Wälder hätten von ihren Stätten und Gründen sich bewegt und die Berge wären in Trümmer gefallen. Die Welt wäre untergegangen wie Sodom, das der Finger Gottes berührt hat.«
Er nannte Gott bei dem neunten seiner Namen, der da lautet: Shadai.
»Doch der Streit nahm ein Ende«, fuhr der Engel fort. »Denn die Erzväter, Abraham, Isak und Jakob, erhoben sich und traten zusammen und vereinigten sich in einem Gebet. Und dieses Gebet, zu dritt verrichtet, hat solche Urkraft, daß es das Ungeschehene geschehen und das Geschehene ungeschehen zu machen vermag. So war das Gleichgewicht der Welt wieder hergestellt und die Eintracht kehrte in den Chor der Engel zurück.«
»Ich weiß es, Asael. Ich trage das Joch meiner zwiefachen Schuld«, sagte der hohe Rabbi und er gedachte des Tages, an dem er, um des Kaisers willen, ein zweites Mal in Schuld gefallen war.
Auf seinem Ritt in das Judenquartier hatte der Kaiser in der Menschenmenge, die sich rechts und links von ihm in den Gassen drängte, ein Gesicht gesehen, das nahm ihn gefangen und ließ ihn nicht frei, und er wußte, daß es immer in seinem Herzen bleiben werde. Es war, so schien es ihm, eines jungen Kindes, eines Judenmädchens Antlitz. Sie stand an die Säule eines Portals geschmiegt, ihre großen Augen waren auf ihn gerichtet, ihr Mund war halb geöffnet, die braunen Locken fielen ihr in die Stirne. Und wie seine Augen sich von den ihren lösten, wie er weiterritt und sie zurückblieb, kam eine Traurigkeit über ihn und er wußte, daß er in Liebe gefallen war.
Er wandte sich und gab seinem Diener, der hinter ihm im Zuge ritt, den Auftrag, zurückzubleiben, sich in der Nähe dieses Mädchens zu halten und ihr zu folgen, wohin immer sie ginge, denn er war entschlossen, zu erfahren, wer diese Schöne war und wo sie wiederzufinden sei.
Der Diener tat, wie ihm geheißen war. Er blieb zurück, versorgte sein Pferd und ging dann, als die Menge sich zu verlaufen begann, hinter dem Mädchen her in das Judenquartier. Sie ging, als hätte sie es eilig, nach Hause zu kommen, sie blickte nicht nach rechts und links, sie sah sich auch nicht um, und da es zu dunkeln begann, hielt sich der Diener dicht hinter ihr. Doch in einer der Gassen, die zum Dreibrunnenplatz führten, wollte es sein Mißgeschick, daß sich etliche Straßenhändler, die jetzt mit ihren Lichtern und Lämpchen durch die Judenstadt zogen, ihm in den Weg stellten, um ihm ihre Waren anzupreisen, und als er sich von ihnen losgemacht hatte, sah er das Mädchen nicht mehr vor sich, sie war verschwunden und sein Suchen nach ihr blieb vergeblich. Und so vermochte er dem Kaiser nichts Besseres zu berichten, als daß er sie in der

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