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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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gekleidet, mit dem Lederschurz, dem Tragriemen über der Schulter und dem kleinen Metzgerbeil im Gürtel, fuhr der Mordechai Meisl mit dem Metzger Schmaje Nossek über die Moldaubrücke und hinauf auf den Hradschin. Um die Mittagsstunde gelangten sie in den Hirschgraben. Innerhalb der Mauern, die ihn umschlossen, vor dem Pförtnerhaus, ließen sie das Pferd und den Wagen stehen. Sie beluden sich mit dem Fleisch, um den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen, denn das Pferd wurde unruhig, wenn der Geruch der wilden Tiere zu ihm drang.
    Es war ein frostiger Tag mit klarem Himmel und einem schneidenden Wind, der die verwelkten Blätter vor sich hintrieb. Der Weg, den sie einschlugen, führte erst zwischen Obst- und Gemüsegärten und dann über einen Wiesengrund. Sie gingen durch Buschholz und durchquerten einen schütteren Buchenwald, in dem Rehe ästen und Füchse ihren Bau hatten. Als sie aus dem Wald traten, hatten sie den Seitenflügel der Burg, der an den Tiergarten stieß, vor sich.
    Im Schatten uralter Buchen und Ulmen standen die Käfige und die Zwinger. Ein gezähmter Bär, der sich seine Nahrung in der Hofküche erbettelte, trottete in völliger Freiheit über den Weg. In einem kleinen, ebenerdigen Ziegelbau hatten die Tierwärter ihre Behausung. Es waren ihrer drei, aber nur einer zeigte sich. Und während dieser unter dem Brüllen der Löwen und dem Kreischen der Affen das Fleisch prüfte und wog, erklärte der Metzger Nossek dem Meisl, durch welches Tor der Kaiser in den Garten treten werde. Er beschrieb ihn als einen kleinen, in seinen Bewegungen sehr behenden Mann mit gekraustem Barthaar. Um diese Jahreszeit trage er einen kurzen Mantel, der mit Goldborten eingefaßt sei, die er, der Nossek, auf einen halben Gulden die Elle schätze. Aber auch daran sei der Kaiser leicht zu erkennen, daß er beim Gehen die rechte Hand vorgestreckt halte, so, als weise er sich selbst den Weg, — eine schmale blaugeäderte Hand. Er, der Meisl, werde nicht mehr lang zu warten haben, die Tiere seien hungrig, und das Brüllen der Löwen sei bis zu den Fenstern des Kaisers zu vernehmen.
    Als das Fleisch gewogen und als festgestellt war, daß es sich in gutem Zustand befand, empfingen sie das Entgelt: Vier neugeprägte böhmische Groschen der Metzger und einen halben sein Knecht.
    Die beiden anderen Wärter traten aus dem Haus, um dem Kaiser entgegen zu gehen. Er war noch nicht zu sehen. Der Schmaje Nossek wies auf einen Gärtnerburschen, der sich nicht weit von ihnen an einem Boskett von Rosensträuchen zu schaffen machte, dabei aber unverwandt auf das Burgtor blickte. Der sehe, meinte der Nossek, gar nicht einem Gärtnerjungen gleich, wisse auch die Gartenschere und das Messer nicht recht zu handhaben. Er, der Nossek, wäre nicht verwundert, wenn es sich erweisen würde, daß dieser Junge, wer auch immer er sei, sich mit der Beihilfe eines Gärtners hier eingeschlichen habe, um dem Kaiser zu begegnen.
    Die beiden Schildwachen am Tor stießen wie auf Kommando ihre Hellebarden auf die Erde, das Tor öffnete sich und der Kaiser trat in einem kurzen goldbordierten Mantel, die rechte Hand ein wenig vorgestreckt, so wie es der Nossek beschrieben hatte, in den Hirschgraben.
    Rudolf der Zweite, der Römische Kaiser, war in der Nacht von Träumen heimgesucht gewesen, in denen ihn sein Bruder Matthias, der österreichische Erzherzog, in eines Ebers Gestalt verfolgt und bedroht hatte. Als er erwachte, kam zu der Schwermut, die immer in seiner Seele war, noch die Angst und die Verzagtheit des Traumes, die er nicht von sich abtun konnte. Der Cervenka, der zweite Kammerdiener, der an diesem Morgen den Dienst versah, wußte, wie er es anzustellen habe, um die Laune des Kaisers um ein weniges zu bessern. Er ließ die spanischen und die italienischen Pferde des Kaisers unter die Fenster seines Schlafgemachs führen. Der Anblick der schönen und stolzen Tiere erfreute den Kaiser. Obwohl er noch im Nachtgewand war, stieß er das Fenster auf, ohne darauf zu achten, daß ein rauher Wind ins Zimmer fuhr. Er beugte sich hinaus und rief bald das eine, bald das andere Tier beim Namen: »Diego! Brusco! Adelante! Carvuccio! Conde!« Und jedes der Tiere, das er rief, hob den Kopf und wieherte hellauf. Doch die Schwermut wich nicht aus dem Herzen des Kaisers.
    Während ihm das Frühstück aufgetragen wurde, erschien der Ofenheizer Brouza mit seiner Ofenschaufel und seinem Zuber in der Stube, um die Asche aus dem Kamin zu fegen. Der Kaiser sah ihm eine

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