Nachts unter der steinernen Bruecke
Judenstadt aus den Augen verloren habe.
Anfangs meinte der Kaiser, es könne nicht schwer sein, das Mädchen wiederzufinden, gelänge es nicht heute, so werde es morgen gelingen, und so ging der Diener auf sein Geheiß alle Tage in die Judenstadt, strich durch die Gassen und spähte umher, doch das schöne Mädchen ließ sich nicht mehr sehen.
Und wie die Zeit dahinlief, schwand die Hoffnung des Kaisers, daß er die Geliebte wiederfinden werde. Es schien ihm, als wäre sie ihm für immer verloren. Doch konnte er ihr Antlitz nicht vergessen und nicht die Augen, die die seinen gesucht hatten. Schwermut kam über ihn, und nicht tagsüber und nicht des Nachts fand er Ruhe und Trost. Und da er keinen Rat wußte, wie ihm geholfen werden könnte, ließ er den hohen Rabbi zu sich rufen.
Ihm berichtete er von dem Judenmädchen, das er auf seinem Weg ins Judenquartier gesehen habe. Er wisse nicht, klagte er, wie ihm geschehen sei, er könne sie nicht vergessen, Tag und Nacht sei sie in seinem Sinn. Er malte mit Worten das Antlitz, das ihn bedrängte, und der hohe Rabbi erkannte, daß der Kaiser die junge Esther gesehen hatte, die Frau des Mordechai Meisl, die über alle Maßen schön war.
Er riet dem Kaiser, nicht länger an sie zu denken, denn es gäbe in dieser Sache keine Hoffnung für ihn. Sie sei eines Juden Eheweib und werde niemals eines anderen Mannes schuldig werden.
Doch der Kaiser achtete auf diese Worte nicht.
»Du wirst sie«, befahl er dem hohen Rabbi, »zu mir auf die Burg bringen. Sie wird meine Liebste sein. Und laß mich nicht lange warten, das könnt' ich nicht ertragen. Allzu lange schon hat sie mich warten lassen. Und ich will keine andere, ich will nur sie.«
»Es kann nicht sein«, sagte der hohe Rabbi. »Sie wird sich nicht gegen Gottes Gebot vergehen. Sie ist eines Juden Weib und wird keines anderen Mannes Liebste werden.«
Als der Kaiser sah, daß der hohe Rabbi ihm wiederum widersprach und ihm nicht helfen wollt', kam wie ein Gewittersturm der Zorn über ihn, und er schwur einen Eid:
»Wenn ich bei dir keinen Gehorsam finde und keine Liebe bei der, an die ich immer denke, dann will ich die Juden allesamt als ein ungetreues Volk aus meinen Königreichen und Ländern vertreiben, das ist mein Wille und mein Beschluß, und das werde ich tun, so wahr mir Gott helfe!«
Da ging der hohe Rabbi und er pflanzte am Ufer der Moldau unter der steinernen Brücke, vor den Blicken der Menschen verborgen, einen Rosenstrauch und einen Rosmarin. Und über beide sprach er die Worte des Zaubers. Da öffnete sich eine rote Rose an dem Rosenstrauch, und die Blüte des Rosmarins strebte zu ihr hin und schmiegte sich an sie. Und jede Nacht flog die Seele des Kaisers in die rote Rose und die Seele der Jüdin in die Blüte des Rosmarins.
Und Nacht für Nacht träumte der Kaiser, er halte seine Geliebte, die schöne Jüdin, umschlungen, und Nacht für Nacht träumte die Esther, die Frau des Mordechai Meisl, sie läge in den Armen des Kaisers.
Die Stimme des Engels rief den hohen Rabbi aus seinem Sinnen. In ihr klang Unwille und Vorwurf.
»Du hast«, sprach der Engel, »die Blüte des Rosmarins gebrochen. Doch die rote Rose brachst du nicht!«
Der hohe Rabbi erhob sein Angesicht.
»Nicht an mir ist es«, sagte er, »das Herz der Könige zu wägen, nicht an mir, zu prüfen, welche Schuld in ihm ist. Nicht ich habe in die Hände der Könige die Macht gelegt. Wäre David ein Mörder und Ehebrecher geworden, wenn Er, der Heilige, ihm verstattet hätte, ein Hirte zu bleiben?«
»Ihr Menschenkinder«, sprach der Engel weiter, »gar arm und voll von Kümmernissen ist Euer Leben. Warum beschwert Ihr es mit der Liebe, die Euch den Sinn verstört und Eure Herzen elend macht?«
Der hohe Rabbi blickte mit einem Lächeln zu dem Engel auf, der die geheimen Wege und Pfade der oberen Welt kannte, aber die Wege des Menschenherzens waren ihm fremd geworden.
»Sind nicht«, sprach er zu ihm, »die Kinder Gottes, als die Zeiten begannen, mit den Töchtern der Menschen in Liebe gewesen? Haben sie sie nicht an den Brunnen und Quellen erwartet und sie im Schatten der Ölbäume und Eichen mit dem Kuß ihres Munds geküßt? War nicht Naema schön, die Schwester des Tubalkain, sahst du je wieder ihresgleichen?«
Der Engel Asael senkte sein Haupt und seine Gedanken flogen zurück durch die Jahrtausende zum Urbeginn der Zeiten.
»Ja, sie war schön, Naema, die Schwester des Tubalkain, der die Spangen schmiedete und die goldenen Ketten«, sagte er leise.
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