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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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Weile zu, dann fragte er:
    »Brouza, wie steht's mit dir? Hältst du's mit mir oder mit dem Matthias?«
»Gevatter«, gab der Brouza, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen, zur Antwort, »ich halt's mit keinem von euch. Ich halt's mit meinem Kehrbesen und mit meiner Ofenschaufel, denn auf die ist Verlaß. Ihr beide, du und der Matthias, ihr seid mit einerlei Speck gespickt, und der eine ist nicht besser zu dem armen Mann als der andere.«
»Du nennst dich einen armen Mann?« meinte der Kaiser. »Du bist reich, du hast Erspartes. Willst du mir hundert Gulden leihen? Mir fehlt's an Geld.«
Der Brouza sah von seiner Arbeit auf und zeigte sein plattnäsiges, mit Kohlenstaub und Asche besudeltes Gesicht.
»Daß du auf das leidige Geld so sehr erpicht bist!« hielt er dem Kaiser vor. »Wo hast du denn den Bürgen und welches Pfand soll ich von dir haben?«
»Du sollst mir«, forderte der Kaiser, »die hundert Gulden ohne Pfand und ohne Bürgen leihen, nur auf mein Wort und auf mein Gesicht.«
»Nein, Herrlein«, sagte der Brouza. »Lieber leih' ich hundert Gulden auf diesen Zuber Asche als zwei auf dein Gesicht.«
Er ließ den Zuber und die Schaufel stehen und wischte zur Tür hinaus, denn der Kaiser hatte den schweren silbernen Brotkorb ergriffen, und der Brouza sagte sich: Hab' ich kein Loch im Kopf, so brauch' ich kein Pflaster.
Eine Stunde verbrachte der Kaiser in einer Kammer, die zwei Siegelschneidern und einem Wachsbossierer als Werkstätte diente. Schweigend beobachtete er den Fortgang ihrer Arbeit, während sie so taten, als hätten sie sein Kommen nicht bemerkt, denn sie wußten, daß es seinen Unwillen erregte, wenn man ihn aus seinen Gedanken riß.
Dann begab er sich in den Saal, an dessen Wänden die Brueghel, die Dürer, die Cranach, ein Altdorfer und ein Holbein hingen. In der Mitte dieses Saales stand das Marmorbildnis, das am Tage zuvor in seinen Besitz gelangt war, das Werk eines großen antiken Meisters der Bildhauerkunst, dessen Name nicht überliefert war. Es stellte den Knaben Ilioneus dar, einen von den Söhnen der Niobe, die in ihrem Stolz die Götter herausgefordert und ihren Zorn auf sich gezogen hatte.
Der Knabe Ilioneus war, von einem Pfeil Apollos getroffen, zu Boden gesunken. Doch er ergab sich nicht ohne Gegenwehr dem Tode. Mit der rechten Hand versuchte er, den Pfeil aus seiner Brust zu ziehen, die linke stemmte er gegen den Erdboden, um sich aufzurichten, denn er wollte sich zu seiner Mutter flüchten, bei der er Schutz und Hilfe zu finden hoffte. Und so edel war die Haltung des Knaben, so schön sein vom Tode gezeichnetes und doch noch dem Leben zugewandtes Antlitz, daß des Kaisers Augen sich mit Tränen füllten. Es wurde ihm leichter ums Herz. Daß dieses Wunderwerk wieder ans Licht gekommen und daß es in seine, des Kaisers, Hände gelangt war, gab ihm Trost und Zuversicht und richtete ihn auf.
Indessen war die Mittagsstunde gekommen, und er vernahm das Brüllen der Löwen und den Schrei des Adlers, die ihn riefen.
Während er die Treppe hinabstieg und Hut und Mantel aus den Händen eines Dieners nahm, verlor er sich in Träumereien.
Wenn Gott es so gewollt hätte, träumte er, als er, gefolgt von zwei Offizieren der Leibgarde in den Garten trat, daß er nicht in dieser Zeit in die Welt gelangt wäre, sondern in jenem frühen Saeculum, in dem der unbekannte Meister den Ilioneus gebildet hatte, wenn er, so spann er den Gedanken weiter, an des Augustus, an des Nero Stelle über das römische Imperium geherrscht hätte, wen von den Denkern und den Gelehrten seiner Zeit hätte er an seinen Hof gezogen? Von den Dichtern und den Komödienschreibern hielt er nicht eben viel, doch den Vergilius ließ er als einen Gelehrten gelten, ihn und den Plinius und den Seneca hätte er immer um sich gehabt, und eine schmerzliche Enttäuschung kam über ihn, als er bedachte, daß Plato und Aristoteles, Euklides und Epikur, die er hoch über alle anderen stellte, zu des Augustus Zeiten schon lange in ihrem Schattenreich waren.
Seine Gedanken kehrten zu dem Marmorbildnis zurück. Wenn er, so träumte er weiter, im heidnischen Rom nicht Kaiser gewesen wäre, sondern der Schöpfer dieses sterbenden Knaben, wäre sein Ruhm nicht größer gewesen als der der Caesaren? Hatte nicht Tizian an Glanz und Ruhm den großen Maximilian übertroffen? Und während er über den Glanz und Ruhm der Künstler und der Caesaren nachsann und jetzt im heidnischen Rom ein Kaiser war und jetzt im gleichen Rom ein Marmorbildner, —

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