Nachts wenn der Teufel kam
erst in den anderen Polizeiressorts herum, ob noch etwas gegen den doofen Bruno vorliegt. Das Ergebnis ist negativ. Ein paar Beamte, die Bruno kennen, kommen in das Dienstzimmer Bauers, um das Gastspiel des Kutschers mitzuerleben.
»Weißt du keinen Witz, Bruno?« fragt ihn ein Beamter.
»Nee, diesmal nicht, Herr Wachtmeester.«
»Na, und wie geht es dir sonst?«
»Sonst geht es gut. Ick krieg' schon 'nen dicken Bauch. Das Fressen schmeckt mir so.«
»Und wie geht's mit der Liebe, Bruno?«
Er kratzt sich hinter dem Kopf.
»Na ja«, sagt er dann, »man hat so seine Sorgen. Wissen Se, da hab' ich ein dolles Mädchen gesehen … Gleich hier, zwei Zimmer weiter. So 'ne Große, Blonde. Können Se mir die nicht verschaffen?«
Die Beamten lachen schallend. Bruno meint die Chefsekretärin.
»Wir werden sie mal fragen«, erwidert einer. »So, und jetzt gehst du und fährst dein Holz schön in den Wald zurück. Genau an die Stelle, wo du es geholt hast, verstanden?«
»Jawohl, Herr Wachtmeester.«
»Und lass dich nicht wieder erwischen. Beim nächstenmal geht es nicht mehr so ab, verlass dich drauf!«
Gemächlich fährt das Fuhrwerk wieder in den Wald zurück. Der Mann auf dem Kutscherbock ist frei.
Strahlendes Sommerwetter beim Gauturnfest in Dessau. Junge Männer und Mädchen aus der Umgebung sind in der Stadt zusammengeströmt, um sich frisch, fromm, fröhlich, frei im Wettkampf zu messen. Am Tag treffen sie sich in der Sportarena, am Abend in den Bars und Tanzdielen. Zehntausend sind es. Die Hotels und Gasthöfe haben bei weitem nicht ausgereicht, um sie aufzunehmen. Die meisten wohnen in Privatquartieren. Die Polizeistunde wurde für diese Nacht aufgehoben. An diesem Sonnabend, dem 5. Juli 1935, geht es hoch her in Dessau.
Die lautesten Gäste beherbergt eine Kneipe in der Innenstadt, die nicht den besten Ruf hat. Um 22 Uhr gibt es hier fast nur noch Betrunkene. Die Gäste haben mit dem Turnfest wenig zu tun. Leichtfertige Frauen und die entsprechenden Männer, billiger Schnaps und reichlich fließendes Bier geben dem Etablissement sein ordinäres Gepräge.
An der Theke steht ein Mann im dunkelblauen Anzug, der seine Schirmmütze aufbehalten hat. Eine Frau stößt ihn im Vorbeigehen an.
»Na, Kleene«, sagt der Mann mit der Schirmmütze, »mit dir is' aber wat los!«
»Verlass dich drauf. Und was machst du hier? Bist du Turner?«
»Kannst schon mal mit mir turnen, wenn du willst«, erwidert der Angetrunkene.
»Spendierst du einen Schnaps?«
Mit unsicherer Bewegung kramt der Mann sein Kleingeld aus der Tasche hervor.
»Geht noch«, sagt er, »aber sauf mich nicht arm.«
Als die beiden aufbrechen, ist es gerade Mitternacht. Keiner achtet auf sie. Die Frau ist bekannt. Einschlägig bekannt. Sie heißt Martha Schmidt und feiert in fünf Tagen ihren 35. Geburtstag. Sie würde ihn feiern, wenn das gräßliche Ereignis nicht einträte.
Die beiden gehen Arm in Arm durch die Innenstadt. Sie ist für diese Stunde ungewöhnlich belebt. Vor dem Orangerie-Gebäude bleiben sie stehen. Sie küssen sich. Dann zieht der Mann mit der Schirmmütze die Frau in das Dunkel der Süddurchfahrt hinein. Ein paar späte Passanten sehen das, denken sich aber nichts dabei. Ein Liebespaar eben.
Nach fünf Minuten kommt der Mann allein aus der düsteren Durchfahrt zurück. Er entfernt sich hastig, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Nach fünf Stunden wird ein Mord entdeckt. Ein bestialischer Mord. Zur selben Stunde rücken die Turner zum Wettkampf aus. Unter ihnen sind Kriminalbeamte. Denn die Mordkommission von Dessau ist fest davon überzeugt, daß der Mörder unter den Sportlern zu finden ist.
Heute noch muß er gefaßt werden.
An diesem wolkenlos blauen Sonntag, dem 6. Juli 1935, gibt es beim Gauturnfest in Dessau hervorragende sportliche Resultate. Zahlreiche junge Athleten können sich in die engere Auswahl für die Olympischen Spiele des Jahres 1936 vorarbeiten. Tausende von Zuschauern verfolgen begeistert die Leistungen der Sportler, spenden ihnen herzlichen Beifall – und unterhalten sich in den Pausen darüber, daß in der Nacht ein grauenhafter Mord verübt worden sein soll. Keiner weiß etwas Bestimmtes darüber; die Gerüchte florieren.
Die Dessauer Kriminalpolizei hat sich aus den umliegenden Städten Beamte zur Verstärkung schicken lassen. Zehntausend außergewöhnliche Gäste sind zu durchleuchten. Ununterbrochen sind Fernschreiber und Telefon in Betrieb.
Acht Stunden Zeit hat die Polizei, noch fünf,
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