Nachts wenn der Teufel kam
Selbstgespräch.
Dann biegt er in einen Hinterhof ein, holt die blecherne Sparbüchse aus der Tasche, nimmt einen Ziegelstein, zertrümmert sie und zählt das Geld. Es ist nicht viel. Fünfzehn Mark vielleicht. Er steckt es ein und wirft die Büchse weg.
Der Mörder schlendert weiter, geht in ein Tabakgeschäft, kauft eine große Packung Zigaretten, zündet sich im Laden noch eine an, stößt den Rauch aus.
Der Mörder – und ein harmloser Passant. Pfeifend. Lächelnd. Gut gelaunt. Wie einer, der Zeit und etwas Geld hat. Bleibt stehen. Wirft einer Dame eine unflätige Bemerkung zu.
Der Mörder schlendert weiter. Geht in eine Kneipe, bestellt Bier, trinkt zwei doppelte Schnäpse dazu.
Er steuert auf einen der zweistöckigen Omnibusse zu, steigt ein und bleibt auch dann noch sitzen, als mehrere Frauen stehen müssen.
Und taucht im Gewühl der Viermillionenstadt unter.
Zwei Stunden Vorsprung hat er vor der Polizei. Vor der routinierten Berliner Mordkommission. Vor dem berühmten Reichskriminalpolizeiamt, der vorgeblich schlagkräftigsten Polizeizentrale der Welt.
Der Mann im dunkelblauen Anzug wird seinen Vorsprung vor der Polizei von 120 Minuten auf sieben Jahre ausdehnen.
Der Fall Israelski bildet nur den Auftakt zu einer eigenen Mordserie in Berlin. Ein Fall wie der andere: Alleinstehende Frauen werden in ihrer Wohnung überfallen, ermordet, mißbraucht und beraubt. Dann ein paar Wochen, ein paar Monate Ruhe bis zu neuen Verbrechen.
Maria Jentsch, geboren am 30. Januar 1893 in Wittenberg, wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, Pestalozzistraße 19, ist das nächste Opfer. Ermordet in ihrer Wohnung in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, den 26. Mai 1937. Ein Unbekannter hatte sie angesprochen und dann nach Hause begleitet. Dann mußte Lieselotte Buch sterben. Geboren am 15. März 1916 in Berlin, wohnhaft in der kleinen Alexanderstraße 15, ermordet in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 8. Oktober 1937.
Man fand sie tot auf Zimmer 11 des Hotels ›Märkischer Hof‹. Erwürgt mit ihrem eigenen Unterrock. Getötet von einem Mann, der vom Portier als mittelgroß, kräftig und primitiv beschrieben wurde. Einen Fußabdruck ließ er zurück. Erst in vielen Jahren wird man ihn aus den Akten hervorgraben.
Dann war Luzie Dümke an der Reihe. Geboren am 23. Juli 1901 in Berlin, wohnhaft in Schöneberg, Hohenfriedbergstraße 27. Tot aufgefunden am 14. November 1937, gegen sieben Uhr in einem Gebüsch, hinter einer Bank im Tiergarten, südöstlich des Großen Weges und zwölf Meter östlich des Kleinen Weges. Die Leiche war vom Mörder oberflächlich mit Laub bedeckt worden.
Hier führte die Polizei besonders intensive Ermittlungen. Luzie Dümke erwartete ein Kind. Sie war eine lebenslustige, brünette Frau, die in einer Fabrik gut verdiente. Ihr Freund blieb monatelang in Untersuchungshaft. Dann mußte man ihn entlassen. Widerwillig, denn es gab viele Verdachtsmomente gegen ihn. Er war unschuldig, absolut unschuldig. Er konnte es nur nicht beweisen. Wie ihm erging es vielen anderen, die man noch länger in Untersuchungshaft behielt, die man sogar verurteilte. Und die niemals ordentlich rehabilitiert wurden.
Der Mann aber, der auch vor der schlimmsten Ungeheuerlichkeit nicht zurückschreckt, läuft immer noch frei herum. Er hat jetzt schon 29 Frauen auf dem Gewissen. Doch immer noch fehlt jede Spur von ihm. Die Polizei tappt im Dunkel.
Die Nacht ist frostklar. Die Sterne funkeln in kalter Pracht. Wenn sich die Menschen miteinander unterhalten, kommen kleine, milchige Fahnen aus ihrem Mund. Vor zwei Tagen fiel der erste Schnee. Wer nicht von Berufs wegen unterwegs sein muß, bleibt an diesen langen Abenden des Januars 1938 in der warmen Stube.
In der Nähe der Einfahrt zur Reichsautobahn von Berlin über Leipzig nach München ist ein Rasthaus, auf dessen großen Parkplätzen allnächtlich Dutzende von Fernfahrerkolonnen stehen. Auf einen schnellen Skat, auf einen heißen Grog, auf eine Tasse Kaffee pflegen sich hier die Ritter der Landstraße ein hastiges Rendezvous zu geben. Wie lange sie bleiben dürfen, ist genau geregelt, denn der Fahrtschreiber in den Autos zeigt jede Unterbrechung an.
Zwischen den parkenden Kolonnen drückt sich ein mittelgroßer, untersetzter Mann herum. Er will mitgenommen werden. Ganz gleich, wohin die Fahrt geht. Meistens hat er Pech. Erstens dürfen die Fahrer niemanden mitnehmen, und zweitens wollen sie es auch gar nicht.
Wieder spricht der Unbekannte vor im Führerhaus eines
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