Nachts wenn der Teufel kam
Später findet einer von ihnen einen verrosteten Spaten. 113 Zentimeter lang. Der Griff ist ausgefräst und mit einem Holzdübel am grünen Stiel befestigt.
»Können Sie damit etwas anfangen?« fragt der Kompaniechef den Kriminalinspektor.
»Ich fürchte, ja«, erwidert Klemm.
»Wieso?« fragt der Leutnant.
»Das ist so ziemlich der sicherste Beweis dafür, daß Rosa Noack nicht mehr am Leben ist.«
Bis man die einsame Wanderin zwei Jahre später zufällig unter einem üppig wuchernden Gestrüpp der Dübener Heide ausgraben wird, greift sich der unsichtbare, unheimliche Mörder sieben weitere Opfer. Es ist Krieg. Trostloses, eintöniges Grau beherrscht das Straßenbild der Städte. Wer jung ist oder wer wenigstens dem Wehrbezirkskommando als jung erscheint, trägt die Uniform.
Täglich ab 17 Uhr spucken die Kasernen ihre Bewohner aus, junge Männer mit ungewöhnlich ernsten oder ungewöhnlich lustigen Gesichtern, je nachdem, ob sie das Inferno vorläufig hinter sich oder vor sich haben. Uniformierte Männer gehen dann auf die Jagd nach einem Mädchen, nach ein paar Zigaretten, nach einem markenfreien Abendessen. Und mitten unter ihnen, unter den Soldaten, die das EK II oder das Holzbein oder beides zusammen tragen, treibt sich ein Mörder herum, den keine Polizei, kein Gericht, kein Wehrbezirkskommando erreicht.
Wieder ist Bruno Lüdke aus Köpenick unterwegs. Im Süden vielleicht oder im Norden oder im Westen Deutschlands. Sein blutiger Schatten scheint allgegenwärtig zu sein. Immer an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit, als es die Polizei erwartet, greifen seine gierigen Hände blitzschnell zu; Blut klebt an ihnen, und sie verursachen nur Leid, Tränen, Grauen. Sein primitiver Instinkt läßt Lüdke mit einer Plötzlichkeit auftauchen und wieder verschwinden, die die Polizei in Resignation über ihre Erfolglosigkeit genial nennt.
Irgendwo lauert der Mörder, in einem Hausflur vielleicht oder auf einer abgelegenen Wiese oder in der Häuserschlucht einer Großstadt.
Wer wird sein nächstes Opfer sein?
Die BDM-Führerin vielleicht, die gerade in Gesellschaft ihrer Freundinnen Socken für die Wehrmachtsbetreuung gestopft hat? Die späte Arbeiterin aus der Munitionsfabrik, die hundemüde und hungrig nach Hause hastet, um schnell noch vor dem Fliegeralarm einen Feldpostbrief zu schreiben? Die zwielichtige Frau unter dem spärlichen Lichtschein der verdunkelten Straßenlaterne, die Männern auflauert, um ihren Körper in Geld umzusetzen? Die verhärmte Witwe, die vor acht Tagen in die Zeitungen setzen ließ, daß ihr heissgeliebter Mann in treuer Pflichterfüllung für Führer, Volk und Vaterland auf dem Felde der Ehre blieb?
Der grausame, unverständliche Zufall führt Regie und spült die Opfer an den Mörder heran. Niemand warnt sie. In den Zeitungen steht kein Wort über die Mordserie. Aus dem Äther kommt keine einzige Fahndungsdurchsage. An den Litfasssäulen klebt kein Steckbrief. Der Mann, der die Öffentlichkeit in einmaliger Weise beunruhigt, wird sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gejagt.
So waren die Opfer alle ahnungslos, als ihnen der menschliche Teufel begegnete, ahnungslos wie die 24jährige Ehefrau Käthe Mundt aus Königswusterhausen, Heideweg 4.
Frau Mundt ist mittelgroß, brünett. Sie hat eine hübsche, gewölbte Stirn und eine kleine, pikante Stupsnase. Sie trägt einen grauen Lammfellmantel -Friedensware –, und in ihrer ringgeschmückten Hand hält sie eine schwarze Tasche mit der Beute der letzten Tage: fünf Eier, ein Stückchen Fleisch, ein Eckchen Butter. Sie war auf dem Lande beim Hamstern, und sie hatte einigen Erfolg.
Mit dem Personenzug kommt sie an diesem Mittwoch, dem 2. April 1941, um 21 Uhr in Königswusterhausen an. Sie springt behend vom Trittbrett, geht durch die Sperre, sieht sich nach allen Seiten um und bummelt ein paar Mal unwillig am Bahnhofsplatz auf und ab. Nach etwa drei Minuten verlässt sie den Platz.
Sie wohnt etwas außerhalb, aber wenn sie kräftig ausschreitet, ist sie in einer Viertelstunde zu Hause, in der Siedlung Neue Mühle, die von Königswusterhausen durch ein kleines Wäldchen getrennt ist. Es ist nasskalt. Der Nebel hängt in dicken Schwaden über der Erde. Frau Mundt kennt jeden Meter dieser brettebenen Landschaft, aus der sich hoch und hässlich die Masten des Deutschlandsenders erheben. Sie ist hier aufgewachsen. Sie hat hier geheiratet. Vor zweieinhalb Jahren. Die Ehe ist nicht besser und nicht schlechter als tausend
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