Nachts wenn der Teufel kam
dreierlei verschiedene Größen.
Sie nimmt sie und bringt sie zur Mutter.
»Ich weiß nicht, was das bedeutet«, sagt sie. »Verbrenn sie oder wirf sie weg. Was Gutes kann nicht dahinterstecken.«
Frau Lüdke reagiert nicht, und ihre Tochter muß selbst handeln. Mutter Lüdke kann nicht wissen, was die Schuhe bedeuten. Sie kann nicht ahnen, daß bei drei Frauenmorden am Tatort jeweils ein Schuh fehlte, daß der Mörder ihn mitgenommen hat, daß die Polizei vor einem Rätsel steht, das sie jetzt lösen könnte, wenn man ihr die Schuhe brächte.
Sie verschwinden in der Mülltonne. Es dauert fast noch drei Jahre, bis man sich an sie erinnern wird.
Der Krieg zeigt immer mehr sein wahres Gesicht. In den Zeitungen machen sich die Todesanzeigen breit. Die Lebensmittelrationierung wird strenger. Die Gerichte sind jetzt angehalten, auch kleine Delikte mit unerbittlichen Strafen zu belegen.
Wieder fordert das Reichskriminalpolizeiamt von den Leitstellen einen Routinebericht an. Er sieht günstig aus. Tatsächlich sind die Kapitalverbrechen zurückgegangen. Bis auf eine Reihe unaufgeklärter Morde, vorwiegend verübt an Frauen eines ganz bestimmten Typs. Es ist unbegreiflich, daß hier die Ermittlungen nicht vorwärts gehen. Sooft man in der Polizeizentrale die Akten in die Hand nimmt, sagt man sich: Es ist alles versucht worden. Alles, was in menschlichen Kräften steht.
Alles?
Was wurde aus Rosa Noack? Wer ermordete Ingeborg Barthel? Warum läuft der Mörder der Rosa Groß noch frei herum? Nicht nur der Mörder der Rosa Groß. Es stehen ja noch dreißig, vierzig dieser ungeklärten Morde zu Buch. Morde an Frauen. Und dann die Sache in Grünau: der Doppelmord an dem Ehepaar Umann, verübt von einem Täter, der sich so im Dunkel der Nacht auflöste, als sei er ein Gespenst.
Daß die Mordkommission nicht draufkommt, diesen Fall mit der Tragödie des Ehepaars Pett in Fahlenberg bei Gosen zu vergleichen, hat seine ganz bestimmten Gründe.
Zunächst ist der Gerichtsarzt schuld daran.
Knapp drei Monate vor dem Doppelmord in der ›Waldschänke‹ hatte sich nahezu der gleiche im Lokal ›Alte Fischerhütte‹ in Fahlenberg ereignet. In der Nacht des 6. Februar 1941.
Das Thermometer zeigte fünf Grad unter Null. Auf den Dächern klebte zentimeterdicker Schnee. Die meisten Leute blieben zu Hause. Nur ein paar Unentwegte fanden sich in der ›Alten Fischerhütte‹ ein.
Als gerade die Stammtischbrüder die Spielkarten weggelegt hatten, ging die Tür auf, und ein unbekannter Mann erschien. Leicht angetrunken. Niemand achtete auf ihn. Der Schnaps hatte die Zungen gelockert, und man geriet in die Politik. Jeder sagte, was er nicht sagen durfte, ohne seinen Kopf zu riskieren. Man schimpfte über den Krieg, über die Partei, über den Hunger, über das Blutvergießen. Alle schimpften mit. Alle bis auf den Fremden, der Schnaps verlangte und keinen bekam.
»Ihr Schweine«, sagte er, »ick werde euch helfen. Ick zeije euch an! Ihr habt über den Führer jeschimpft!«
Der Unbekannte fuhr mit der flachen Hand über seinen Hals. Jeder verstand die Geste, und jeder war auf einmal still.
Bis auf den Wirt, Reinhard Pett. Er hatte schon mehr Schnaps erwischt. Er ging auf den Unbekannten zu. In der nächsten Sekunde geschah es. Er schlug ihn ins Gesicht. Ein paar Mal. Jetzt lachten die Gäste wieder.
»Recht so, Reinhard!« riefen sie. »Gib's ihm! Der hat uns gerade noch gefehlt!«
Der unbekannte Gast flog hochkantig hinaus.
Was weiter geschah, ist in der nackten, teilnahmslosen Sprache der Gerichtsakten festgehalten:
»Die Ehefrau lag in Rückenlage neben einem Kochherd auf dem Fußboden und hatte eine Schlinge aus Starkstromlitze um den Hals, so daß der Kopf ungefähr zehn Zentimeter über dem Fußboden befand. Die Schnur war mit ihren Enden am Kopf der Bratofentür des Kochherdes befestigt. In unmittelbarer Nähe wurde der Ehemann an einer Bratofentür eines elektrischen Kochherdes erhängt vorgefunden. Als Strangwerkzeug war ein ähnlicher Leitungsdraht verwendet worden. Die Enden des Strangwerkzeuges waren durch den Griff der Bratofentür hindurchgeführt und an einem in unmittelbarer Nähe stehenden Küchentisch befestigt worden. In sämtlichen Räumen des Gasthauses und auch in den Privaträumen der Eheleute waren alle Behältnisse durchgewühlt worden. Die Haustür war verschlossen, jedoch der Schlüssel dazu nicht auffindbar.«
Nun aber kommt der seltsam unfassbare Nachsatz in den Akten: »Nach einem Gutachten des
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