Nachts wenn der Teufel kam
durchgedreht.«
»So«, erwidert Schmitz.
»Ich habe einen Wutanfall gekriegt. Ich habe auf einmal nicht mehr gewußt, was ich tue, bin auf sie losgegangen und habe sie geschüttelt. Sie hat geschrien, und da bin ich einfach davongelaufen. Ich habe in der Aufregung gar nicht gemerkt, daß ich statt nach unten nach oben renne. Mein Geld hat sie immer noch.«
Der Festgenommene ist grün im Gesicht. Er spricht stockend, schwer atmend, müde.
»Ich kann nicht mehr«, sagt er leise. In der nächsten Sekunde wird er ohnmächtig.
»Los, stehen Sie nicht herum«, fährt Schmitz einen Beamten an. »Holen Sie den Arzt!«
Der Mann im weißen Kittel beugt sich über den Ohnmächtigen.
»Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie ihn in Ruhe lassen sollen«, mahnt er dann den Kommissar.
»Hören Sie«, entgegnet Schmitz, »dieser Bursche ist vielleicht ein sieben- oder achtfacher Frauenmörder. Soll ich ihn mit Glacehandschuhen anfassen?«
»Das ist etwas anderes«, antwortet der Arzt. »Ich gebe ihm eine Spritze. In einer Viertelstunde wird er wieder zu sich kommen, denke ich. Der Mann ist durch den Blutverlust sehr geschwächt.«
»Ganz gut so. Vielleicht redet er dann leichter«, versetzt Kriminalkommissar Schmitz eiskalt.
Und weiter geht nach einiger Zeit die Vernehmung.
»Wenn das so war, wie Sie es uns erzählen«, sagt der Kommissar, »dann verstehe ich nicht, warum Sie davongelaufen sind. Kein Mensch würde Ihnen den Kopf abreißen, wenn Sie einer diebischen Dirne an die Gurgel gefahren sind. Da steigt man doch nicht auf Dächer, riskiert Kopf und Kragen und läßt sich zuletzt noch niederschießen.«
»Die Angst, Herr Kommissar … Verstehen Sie mich denn nicht? Das alles, wie es jetzt gekommen ist, wollte ich vermeiden. Ich bin seit 19 Jahren verheiratet. Ich habe zwei Kinder. Zwei Jungen. Sie gehen in die Oberschule. Was sollen sie denken, wenn ihr Vater in eine Schlägerei mit einer Dirne verwickelt ist?«
Der Kriminalkommissar läßt sich ablösen. Es ist sechs Uhr morgens. Er will zwei Stunden ausspannen. Vorher aber diktiert er noch den Morgenrapport. Er teilt der Polizeizentrale am Alexanderplatz offiziell mit, daß in der vergangenen Nacht der langgesuchte Berliner Frauenmörder nach dramatischer Verfolgung festgenommen werden konnte.
Und wieder geht es weiter mit der Vernehmung. Erbenbach wird der Überfallenen gegenübergestellt. Sie gibt eine ganz andere Darstellung von dem Vorfall. Noch ahnt Erbenbach nicht im vollen Ausmaß, in welches Verhängnis er hineingeraten ist. Er begreift die Fragen nicht, die auf ihn niederprasseln.
»Wo waren Sie am 30. September? Kennen Sie die Bleibtreustraße?«
Man zeigt ihm ein Foto.
»Kennen Sie diese Frau? Wann haben Sie sie zuletzt gesehen? Was haben Sie zu ihr gesagt? Was haben Sir mit ihr gemacht? Warum haben Sie sie ermordet?«
Das ständige Nein wird immer schwächer. Dann kommt das Fieber. Dann kommt der Arzt mit der Spritze. Dann gibt man dem Festgenommenen Kaffee. Tabletten. Der Mann ist wieder vernehmungsfähig. Und dann kommen die nächsten Fragen.
»Wo waren Sie am 3. Mai 1941? Kennen Sie Frau Gutermann? Wo haben Sie das Beil versteckt?«
»Wo waren Sie am 2. April 1942? Kennen Sie sich in Königswusterhausen aus?«
»Wo haben Sie sich am 5. Oktober 1941 herumgetrieben?«
Fragen, nichts als Fragen. Keine Antworten. Aber immer noch hoffen die Männer vom Alexanderplatz, daß sie einen vielfachen Mörder gefaßt haben.
Am 29. Januar 1943 verübt Bruno Lüdke ganz in der Nähe von Köpenick sein letztes Verbrechen. Es ist ein frostklarer Tag. Und der Massenmörder läuft wieder einmal von der Arbeit davon. Er treibt sich im Stadtwald herum. Es ist Nachmittag. Lüdke begegnet Holzarbeitern, die ihn kennen.
»Na, Bruno«, begrüßen sie ihn, »willst du wieder Holz klauen?«
»Nee, heute nich«, erwidert er grinsend.
Er geht weiter, ziel- und planlos. Er erreicht das Jagen 56. Er sieht eine Frau, die Reisigholz sammelt. Der Winter ist sehr streng und die Kohlenzuteilung besonders knapp.
Langsam pirscht sich der doofe Bruno an die Frau heran. Fast lautlos kommt er ihr näher. Jetzt hört sie ihn; sie dreht sich um.
»Ach, du bist es, Bruno«, sagt sie.
»Ja«, erwidert er.
Die Frau ist eine Verwandte seiner Mutter, Frau Frieda Rösner, 52 Jahre alt.
»Sammelst du Holz?«
»Das siehst du doch. Komm', du kannst mir helfen, Bruno. Damit du auch einmal etwas Anständiges tust.«
Die Frau mit den grauen Haaren weiß, welche Sorgen Frau Lüdke mit
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