Nachts wenn der Teufel kam
ihrem Sohn hat. Oft hat sie miterlebt, wie die Familie mit Geld und guten Worten Brunos Schandtaten wieder glatt bügelte. Wie oft wurde sie von der Familie Lüdke selbst ausgeschickt, um den Geschädigten gut zuzureden.
»Ick helfe dir«, sagt Bruno.
Nur kleine Zweige kann Frau Fieda Rösner finden. Holzauflesen ist längst zu einem notwendigen Sport der Köpenicker aller sozialen Schichten geworden. Die Frau geht immer weiter in den Wald hinein. Bruno bückt sich ab und zu, hebt feixend einen kleinen Ast auf und schiebt ihn ihr in die Tasche.
»Schlecht, Tante Frieda«, sagt er, »wirst nicht viel zusammenkriegen heute.«
»Na, ein bisschen wat ist es doch.«
»Ick wüsste wat Schöneres«, erwidert Bruno. Er kommt ganz nahe auf die Frau zu, legt seinen Arm um sie und reißt sie zu Boden. Er stürzt sich auf sie.
»Um Gottes willen«, stöhnt die Frau, »Bruno, was hast du denn?«
Für einen Augenblick läßt Bruno sie los. Da spricht sie selbst ihr Todesurteil.
»Ich sag's deiner Mutter«, sagt sie.
Da wirft sich Bruno Lüdke erneut auf Frieda Rösner.
Zwei Stunden später wird sie gefunden. Tot. Erwürgt. Missbraucht.
Die Mordkommission rückt aus, gleitet von einem der fähigsten Beamten, über den die Berliner Polizei verfügt: Kriminalkommissar Franz.
Der alerte, wendige Kriminalbeamte ist der Köpenicker Morddienststelle erst vor kurzem zugeteilt worden. Kriminalkommissar Franz ist schlank, groß, energisch. Sein Wunsch war, in der Berliner Zentrale zu arbeiten, Köpenick empfindet er ein wenig als Strafposten. Er ahnt nicht, daß er den größten Fall der deutschen Kriminalgeschichte klären wird, von einem Verbrechen in Köpenick ausgehend. Daß er dem Reichskriminalpolizeiamt eine Lösung auf den Tisch legen wird, die zunächst helles Gelächter und später lähmendes Entsetzen hervorruft. Daß er Schluss machen wird mit dem Massenmörder Bruno Lüdke. Kommissar Franz bringt für die Aufklärung des Mordfalles im Jagen 56 des Köpenicker Stadtwaldes ein ganz bestimmtes Rezept mit: die Gründlichkeit. Er hält sich nicht lange am Tatort auf. Was es dort zu sehen gibt, kann er mit einem Blick feststellen.
Im Polizeiamt trommelt er Beamte aller Abteilungen zusammen.
»Ich kann mich irren«, beginnt er die Besprechung, »aber ich habe das bestimmte Gefühl, daß der Mörder ein Bewohner von Köpenick sein muß. Ich glaube nicht, daß sich ein Mensch an diese Stelle verirrt, wenn er den Stadtwald nicht ganz genau kennt. Ich möchte die Akten aller Personen vorgelegt bekommen, die der Polizei schon einmal aufgefallen sind.«
»Also die Sittenkartei, Herr Kommissar?« fragt einer.
»Nein«, erwidert Franz. »Alle will ich sehen, und wenn es 500 sind. Wir haben ja Zeit, nicht?«
Es sind 170 Dossiers, die der dynamische Kriminalkommissar durchsehen muß. Auf einer der Akten steht ›Bruno Lüdke‹. Zunächst schiebt Franz den Ordner beiseite. In seiner engeren Wahl stehen vorerst fünfzehn Personen. Erst wenn er sie alle vernommen hat, will er sich um die anderen Fälle kümmern.
»Kennen Sie diesen Mann?« fragt er, als er endlich auch auf Bruno Lüdke stößt.
»Natürlich«, erwidert Kriminalsektretär Heizmüller, »der doofe Bruno. Wir haben ihn schon ein paar Mal hier gehabt. Holzdiebstahl, Tierquälerei. Ein harmloser Irrer.«
»Ich möchte ihn sehen«, entgegnet Franz. »Aber das hat noch Zeit. Ich sage es Ihnen, wenn es soweit ist.«
Während vom Köpenicker Polizeiamt aus die Routinearbeit langsam und zähe vorankommt, ereignet sich bei Familie Lüdke, Grüne Trift 32, eine Familientragödie.
Als Bruno aus dem Stadtwald nach Hause kam, begegnete er seiner Mutter.
»Wie siehst du denn aus?« fragt die Frau erschrocken. »Du hast ja Blut im Gesicht.«
»Ick bin ausjerutscht und hinjefallen.«
Die Mutter stutzte. Blutspuren ohne Verletzung? Sie wußte sofort, daß Bruno log. Seit Tagen war sie besonders unruhig. Seit Tagen hatte sie das Gefühl, daß sich etwas Ungeheuerliches ereignen würde.
»Wo bist du gewesen?« fragte sie weiter.
»Im Stadtwald.«
»Wo du dich nur immer herumtreiben mußt. Warst du allein?«
»Nee«, antwortet Bruno. »Ick hab' die Tante Frieda jesehen. Ick hab' ihr sogar jeholfen, Holz aufzulesen. Kannst sie ja fragen, wenn du et nich jloobst.«
»Bist du mit ihr zurückgekommen?«
»Nee, det hat mir zu lange jedauert. Ick hab' die Schnauze voll jehabt.«
Noch an diesem Abend wollte Frau Lüdke Frieda Rösner aufsuchen, aber es war so kalt, und sie
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