Nachts wenn der Teufel kam
Polizei ermordet hat? Vielleicht ist es doch nicht so, daß bisher Unschuldige die Verbrechen des Bruno Lüdke büßen mussten? Vielleicht gibt es eine Chance, die zahlreichen Fahrlässigkeiten und die bewussten Aktenfälschungen weiter zu vertuschen?
Drei Tage lang sieht es so aus. Drei Tage erhält Kriminalkommissar Franz die Weisung, auf der Stelle zu treten und nichts zu unternehmen.
Aber nach diesen 72 Stunden, die noch einmal alles in Frage stellen, ist es soweit. Der Mörder Erika Feinds, ein junger Maschinenschlosser, wird gefaßt. Er gesteht auf Anhieb. Mit den übrigen Frauenmorden hat er aber nichts zu tun.
Sie gehen, wie sich immer deutlicher zeigt, auf das Konto Bruno Lüdkes.
Die ersten Zwischenberichte der Sonderkommission zirkulieren bei den Kriminalleitstellen. Jetzt erst erfahren die Beamten im Reichsgebiet, um was es eigentlich geht. Die Sonderkommission hat etwa hundert ungeklärte Fälle in die ›engere Wahl‹ gezogen. Weitere fünfzig kann sie ausscheiden.
Man steht erst am Anfang der Aufklärung der ›Geheimen Reichssache‹ Lüdke. Aber schon jetzt wirken die Zwischenberichte so unvorstellbar, daß man an ihrer Echtheit, offen oder versteckt, zweifelt. Vor allem die Polizeidienststellen, die zur Verurteilung Unschuldiger beitrugen, klammern sich krampfhaft an den Gedanken, daß die Sonderkommission mit Tricks und faulen Trümpfen arbeitet. Man nimmt an, daß sie einen geistig Behinderten dazu missbraucht, ihm alle ungeklärten Fälle in die Schuhe zu schieben, um ein für allemal reinen Tisch zu machen.
Daß es in dieser Zeit bei der Polizei hinten und vorn nicht stimmt, weiß jeder. Daß sie politisch gelenkt wird, daß der Dualismus zwischen SS und Polizei, die Rivalität zwischen politischen Emporkömmlingen und alten Fachleuten, die seltsamsten Blüten zeitigt, steht für jeden, der Einblick hat, außer Frage.
Auch Hamburg hat einen ungeklärten Mord gemeldet. Ein Verbrechen an einer Prostituierten. Ein Unschuldiger büßt dafür. Aber die Hamburger Polizei vertritt gerade jetzt, da die Meinung auftaucht, Bruno Lüdke hätte auch dieses Verbrechen verübt, die Auffassung, daß der von ihr festgenommene Mann der richtige Mörder ist. Sie ist entschlossen, den Berliner ›Bluff‹ nicht mitzumachen.
Kriminalrat B. fährt nach Berlin, um die ›Unregelmäßigkeiten‹ der Sonderkommission aufzudecken. Er nimmt es auf seine Kappe. Er hat keinen Auftrag von seiner Dienststelle. Er ist ein alter Fachbeamter und hat genügend Zivilcourage, gegen unkorrekte Machenschaften anzukämpfen, auch wenn sie unter dem stillschweigenden Protektorat des Reichssicherheitshauptamtes stehen sollten.
In Berlin meldet sich Kriminalrat B. bei der Staatsanwaltschaft. Er hat das Glück, auf einen Beamten zu stoßen, der ihn anhört und persönlichen Mut beweist. Er ist mit dem Plan des Hamburger Kriminalisten einverstanden. Wie dieser Plan aussieht, wissen weder das Reichskriminalpolizeiamt noch die Sonderkommission.
Am Abend dieses Tages hat Bruno Lüdke einen Zellengenossen – zum ersten Mal, seit er in Haft ist. Einen schlanken, mittelgroßen Burschen, der unrasiert und ungepflegt wirkt, wenig spricht und die Taschen voller Zigaretten hat. Es ist Kriminalrat B. der sich hier Erich Beiger nennt und als Häftling fungiert.
»Wie heißt du?« fragt er seinen Zellengenossen.
»Bruno.«
»Und warum sitzt du?«
»Det jeht dir jar nischt an.«
»Dann behalt es nur für dich, du blöder Hund«, sagt Beiger. Er haut sich schweigend auf seine Pritsche. Er raucht. Bruno spricht ihn an.
»Kannste mir 'ne Zigarette jeben?«
»Erst kommst du mir dämlich, und dann willst du Zigaretten«, erwidert Beiger. »So was hab' ich gern. Mensch, wir zwei müssen doch zusammenhalten. Wir haben doch nur einen Feind: die Polente. Hier, da haste die Zigarette.«
Bruno raucht gierig.
»Kannst du mir noch eene jeben?« bettelt er weiter.
»Von mir aus«, knurrt Beiger. Dann wird er freundlicher.
»Bist du schon lange hier?« fragt Bruno.
»Nee.«
»Und wat haste angestellt?«
»Ich bin doch nicht doof, daß ich dir das sage. Was hast du denn gemacht?«
Bruno grinst.
»Jott«, erwidert er, »ick hab' een paar Weiber kaltjemacht.«
»Du bist verrückt.«
Bruno feixt.
»Det is ja det Jute, da kann mir jar nischt passieren.«
»Du hast 'nen Vogel«, entgegnet Beiger. »Natürlich hauen sie dir den Kopf runter, wenn du das Maul nicht hältst.«
»Nee, nee, die haben es mir bestimmt versprochen, dat mir jar
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