Nachts wenn der Teufel kam
geben die Fälle Auskunft, die die Sonderkommission bis jetzt klärte.
Die Mordsache Berta Liebau zum Beispiel, mit der Lüdke seine ungeheuerliche Mordserie einleitete. In Berlin N 65, Lynarstraße 13, begann die grausame Karriere des Ungeheuers. Frau Liebau war 53 Jahre alt, aber sie wirkte weit jünger. Sie war schlank und mittelgroß. Seit ihr Mann gestorben war, lebte sie allein in der mit bürgerlichem Prunk überladenen Wohnung. Sie lachte zuerst über den tollpatschigen Burschen, der sie ansprach, als sie von Besorgungen zurückkehrte. Irgendwie verspürte sie Mitleid mit ihm und nahm ihn in ihre Wohnung mit – in dieselbe, in der Bruno Lüdke jetzt der Sonderkommission Rede und Antwort steht.
»Das war also dein erster Mord, Bruno?« fragt Franz.
»Jawohl, Herr Kommissar.«
»Und warum hast du sie umgebracht?«
»Det weeß ick selbst nicht jenau. Det verstehn Se nich, Herr Kommissar. Die mit mir in der Schule waren, die hatten alle schon Mädchen, nur ick nich. Da hab' ick sie mir anjelacht. Und denn wollte sie, daß ick jehe. Und ick wollte nicht.«
»Wo ist es passiert?« fragt Franz. Er hat die Akten vor sich liegen. Er kennt jede Einzelheit des bisher ungeklärten Mordfalls. Nur der Mörder selbst kann sie genauso gut kennen.
Heißt der Mörder Bruno Lüdke? Und wenn er es ist, reicht sein Gedächtnis noch aus, um die Tatumstände zu schildern?
»Hier in der juten Stube. Mit 'nem Messer.«
Wie elektrisiert springt Franz auf. Stimmt genau mit den Ermittlungen der Mordkommission überein, die in den jetzt schon vergilbten Akten des Jahres 1924 aufgezeichnet sind.
»Und wo hast du das Messer gelassen, Bruno?«
»Det hab' ick wieder mitjenommen.«
»Und was hast du vorher mit dem Messer gemacht?«
Der Mörder zuckt die Schultern.
Franz ändert seinen Tonfall.
»Bruno, denk mal scharf nach!«
»Ick hab' det Messer abjewischt und dann eingeschoben.«
»Wo hast du es abgewischt?«
»Ick gloob' an ihrem Hemde.«
Kriminalkommissar Franz kann über diesen Fall die Akten schließen. Bruno gibt bereitwillig weitere Auskünfte. Vor fast zwanzig Jahren geschah die Tat, und Bruno war, als er sie verübte, fünfzehn Jahre, zehn Monate und acht Tage alt.
»Hast du keine Angst gehabt, daß du gefaßt wirst?«
»Am Anfang schon. Aber denn is die Polente nicht jekommen. Und denn hab' ick weiterjemacht, weil ick jesehn hab', daß det jar nicht so schwer is'.«
»Sag mal, Bruno«, fragt Franz weiter, »haben dir die Frauen niemals leid getan?«
»Manchmal schon und manchmal ooch nicht«, entgegnet der Mörder mit verlegenem Grinsen.
Zweite Station des Mörders: Frau Klara Ulbrich, geborene Wilke, ermordet am 20. September 1924 im Wald bei Berlin-Rahnsdorf, in der Nähe der Bahnwärterbude 17. Dieser Mord an der 33jährigen Berlinerin hatte besonderes Aufsehen erregt. Waldarbeiter fanden die Tote acht bis zehn Stunden nach der Tat. Neben der toten Mutter stand erschöpft, verweint, halb erfroren ihr vierjähriger Sohn Herbert, ein blondes Kind mit großen, ängstlichen Augen, der auf alle Fragen nur erwidern konnte: ›Böser Mann! Böser Mann!‹
Ein paar Schritte geht Bruno den Beamten der Sonderkommission voraus, um den Tatort zu suchen. Diesmal wendet der Kriminalkommissar einen besonderen Trick an. Er führt Lüdke an eine falsche Stelle.
»Hier war es, nicht wahr, Bruno?« fragt er.
»Nee. Ihr seid ja doof, det ist janz woanders jewesen.«
»Na, dann such mal weiter.«
Nach einer Viertelstunde hat der Mörder den Tatort gefunden. In einer Schonung nahe der Chaussee Friedrichshagen-Schöneiche.
»Det weeß ick janz jenau. Hier war det.«
Die Beamten verfolgen jede seiner Bewegungen, jedes seiner Worte. Dutzende von Mordfällen haben sie geklärt. Sie haben die Grauen, das Entsetzen, das Abgründige in vielen Versionen kennen gelernt. Aber hier sind sie am Ende, hier fällt es ihnen schwer, in diese lächelnde Fratze zu sehen und die Nerven zu behalten, während der Mörder weiter drauflosplappert, als erzähle er ein lustiges, nichts sagendes Abenteuer.
Kriminalkommissar Franz zwingt sich gewaltsam zur Ruhe. Er läßt sich noch einmal den Tatverlauf schildern, läßt die widerliche Prahlerei des Mörders über sich ergehen, läßt Brunos Aussage mitstenographieren. Er sieht in die blassen, übermüdeten, entsetzten Gesichter seiner Beamten, die genauso mit dem Ekel kämpfen wie er.
»War die Frau allein?« fragt Franz.
»Natürlich«, erwidert Bruno, unterbricht sich aber im gleichen
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