Nachts
dem Bild ist jemand.
Und wenn man genau hinsieht, kann man die Bäume durch die Dame hindurch erkennen.«
Das erfindet er alles, er verarscht mich, und wenn ich gehe, wird er lachen wie ein Pferd, dachte Kevin, wußte aber, daß Pop Merrill ganz und gar nichts dergleichen tun würde.
»Die Dame, die das Bild gemacht hat, wohnte in so einem großen englischen Haus, wie sie sie manchmal im Schulfernsehen zeigen, und wie ich gehört habe, ist der Hausherr bewußtlos umgekippt, als sie ihm das Bild gezeigt hat. Das könnte erfunden sein. Ist es wahrscheinlich auch. Hört sich an, als wäre es erfunden, oder nicht?
Aber ich habe das Bild in einem Artikel neben einem Gemälde der Urgroßmutter des Mannes gesehen, und sie könnte es tatsächlich sein. Wegen dem Schleier kann man es nicht mit Sicherheit sagen, aber es könnte sein.«
»Könnte auch ein Schwindel sein«, sagte Kevin leise.
»Könnte sein«, meinte Pop gleichgültig. »Die Leute denken sich allen möglichen Schabernacks aus. Nimm zum Beispiel meinen Neffen Ace.« Pop rümpfte die Nase. »Hat vier Jahre in Shawshank gesessen, und wofür? Weil er in den Mellow Tiger eingebrochen ist.
Er hat einen Schabernack gemacht, und Sheriff Pangborn hat ihn dafür eingebuchtet. Der kleine Tunichtgut hat genau das bekommen, was er verdient hat.«
Kevin, der eine für sein Alter weit entwickelte Weisheit an den Tag legte, sagte nichts.
»Aber wenn sich Gespenster auf Fotos zeigen oder, wie du gesagt hast, wenn Leute behaupten, es seien Gespenster , handelt es sich fast immer um Polaroidbilder. Und es scheint immer zufällig zu sein. Aber Bilder von fliegenden Untertassen oder dem Ungeheuer von Loch Ness, das sind fast immer Bilder von Negativfilmen. Bilder, mit denen ein kluger Bursche in einer Dunkelkammer einen Schabernack treiben kann.«
Er blinzelte Kevin zum drittenmal zu und drückte damit jeglichen Schabernack (wie auch immer geartet) aus, den ein skrupelloser Fotograf in einer gutausgerüsteten Dunkelkammer treiben konnte.
Kevin überlegte sich, Pop zu fragen, ob es möglich war, daß jemand mit OuijaBrettern einen Schabernack treiben konnte, hielt aber den Mund. Das schien die klügste Vorgehensweise zu sein.
»Das alles nur zur Erklärung, warum ich dich gefragt habe, ob du auf diesen Polaroidbildern etwas Bekanntes sehen kannst.«
»Kann ich aber nicht«, sagte Kevin so aufrichtig, daß er glaubte, Pop würde ihn für einen Lügner halten, wie seine Mutter immer, wenn er den taktischen Fehler auch nur kontrollierter Vehemenz beging
»Jaha, jaha«, sagte Pop und glaubte ihm so nebenbei, daß Kevin fast verdrossen war.
»Nun«, sagte Kevin nach einem Augenblick, in dem nur die fünfzigtausend tickenden Uhren zu hören waren, »ich denke, das war’s dann, hm?«
»Vielleicht nicht«, sagte Pop. »Ich will damit sagen, ich hab da so einen kleinen Einfall. Macht es dir was aus, noch ein paar Bilder mit dieser Kamera zu machen?«
»Was soll das bringen? Sie sind alle gleich.«
»Darum geht es ja. Sind sie nicht.«
Kevin machte den Mund auf und wieder zu.
»Ich bezahl sogar den Film«, sagte Pop, und als er Kevins erstaunten Gesichtsausdruck sah, fügte er hastig hinzu: »Jedenfalls zum Teil.«
»Wie viele Bilder wollen Sie?«
»Nun, du hast wieviel? Achtundzwanzig, stimmt das?«
»Ich glaube ja.«
»Noch dreißig«, sagte Pop nach einem Augenblick des Nachdenkens.
»Warum?«
»Das sag ich dir nicht. Noch nicht.« Er holte eine schwere Geldbörse hervor, die mit einer Stahlkette an einer Gürtelschlaufe festgeschnallt war. Er machte sie auf, holte einen Zehndollarschein heraus, zögerte und legte mit offensichtlichem Widerstreben noch zwei Einser drauf. »Schätze, das dürfte die Hälfte sein.«
Ja, stimmt, dachte Kevin.
»Wenn dich wirklich interessiert, was diese Kamera macht, wirst du den Rest wohl selbst drauflegen, richtig?« Pops Augen funkelten ihn wie die Augen einer alten, neugierigen Katze an.
Kevin begriff, der Mann erwartete mehr von ihm als nur, daß er ja sagte; für Pop war es undenkbar, daß er nein sagen könnte. Kevin dachte: Wenn ich nein sagen würde, würde er es gar nicht hören; er würde sagen: »Gut, dann sind wir uns ja einig«, und ich würde wieder drau
ßen auf dem Gehweg stehen und sein Geld in der Tasche haben, ob ich nun will oder nicht.
Und er hatte auch das Geld noch, das er zum Geburtstag bekommen hatte.
Dessenungeachtet mußte er über diesen kalten Wind nachdenken. Der Wind, der trotz der täuschend
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