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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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weitere Sinnsprüche. Auf einem kleinen Tisch beim Fernseher stand eine Kaffeemaschine. Kaffeemaschine un d Fernseher waren ausgeschaltet.
    Sam ging an den Stühlen vorbei den Flur entlang und fühlte sich mehr denn je wie ein Eindringling. Er sah in drei andere Zimmer, die vom Flur wegführten. In jedem standen zwei schmucklose Kojen, alle waren unbewohnt. Die Zimmer waren makellos sauber, erzählten aber dennoch ihre Geschichten. Eines roch nach Musterole. Eine anderes roch unangenehm nach einer schweren Krankheit. Entweder ist in diesem Zimmer vor kurzem jemand gestorben, dachte Sam, oder jemand wird bald sterben.
    Die ebenfalls menschenleere Küche lag am anderen Ende des Flurs. Es war ein großes, sonniges Zimmer mit einem verblichenen Linoleumboden, der unebenmäßige Berge und Täler bildete. Ein gigantischer Herd, eine HolzGasKombination, nahm einen Alkoven ein. Das Spülbecken war alt und tief, das Emaille von rostigen Flecken besudelt. An den Wasserhähnen befanden sich altmodische Propellergriffe. Neben der Vorratskammer standen eine vorsintflutliche Waschmaschine Marke Maytag und ein gasbetriebener Trockner Marke Kenmore. Die Luft roch schwach nach den gebackenen Bohnen des Vorabends. Das Zimmer gefiel Sam. Es erzählte ihm von Pfennigen, die herumgedreht worden waren, bis sie schrien, aber es erzählte auch von Liebe und Fürsorge und sauer verdientem Glück. Es erinnerte ihn an die Küche seiner Großmutter, und die war ein guter Aufenthaltsort gewesen. Ein sicherer Aufenthaltsort.
    Auf dem alten riesigen AmanaKühlschrank befanden sich eine Magnetplakette, auf der stand:
    GOTT SCHÜTZE UNSER ALKOHOLFREIES HEIM.
    Sam hörte leise Stimmen draußen. Er durchquerte die Küche und sah zu einem der Fenster hinaus, das hochgeschoben worden war, damit soviel des milden Frühlingstages hereinkam, wie die sanfte Brise hereinlocken konnte.
    Der Rasen im Garten von Angle Street zeigte die ersten Spuren von Grün; im hinteren Teil des Gartens warteten ein schmaler Ring gerade knospender Bäume und ein müßiger Gemüsegarten auf wärmere Tage. Links hing ein Volleyballnetz im sanften Bogen durch. Rechts befanden sich zwei Hufeisenwurfmulden, in denen gerade erstes Unkraut sproß. Es war kein ansprechender Garten
    was um diese Jahreszeit kaum einer war , aber Sam sah, daß er, seit der Schnee seinen winterlichen Griff gelockert hatte, mindestens einmal gerecht worden war, und es war keine Spur Ruß zu sehen, obwohl er den stählernen Glanz der Eisenbahnschienen keine fünfzig Schritte vom Garten entfernt sehen konnte. Die Bewohner von Angle Street hatten vielleicht nicht viel, um das sie sich kümmern konnten, aber um das, was sie hatten, kümmerten sie sich vorzüglich.

    Etwa ein Dutzend Menschen saß auf Klappstühlen in einem ungefähren Kreis zwischen dem Volleyballnetz und den Hufeisenmulden. Sam erkannte Naomi, Dave, Lukey und Rudolph. Einen Augenblick später erkannte er auch Burt Iverson, den wohlhabendsten Anwalt von Junction City, und Eimer Baskin, den Banker, der seine Rede vor den Rotariern zwar nicht gehört, später aber nichtsdestotrotz angerufen und ihm gratuliert hatte. Eine Bö wehte die anheimeligen karierten Vorhänge des Fensters zurück, durch das Sam hinaussah. Sie zerzauste auch Eimers Haar. Eimer wandte das Gesicht der Sonne zu und lächelte. Sam rührte die schlichte Freude, die er nicht auf Eimers Gesicht sah, sondern darin. In diesem Augenblick war er nicht der reichste Banker einer Kleinstadt; er war der Inbegriff eines jeden Mannes, der je den Frühling nach einem langen, kalten Winter begrüßt hatte und froh war, noch am Leben, unversehrt und frei von Schmerzen zu sein.
    Ein Gefühl des Unwirklichen kam über Sam. Es war seltsam genug, daß Naomi Higgins sich hier mit den obdachlosen Wermutbrüdern von Junction City abgab noch dazu unter falschem Namen. Aber die Feststellung, daß der geachtetste Banker der Stadt und einer ihrer genialsten Rechtsverdreher auch hier waren, das war ein echter Hammer.
    Ein Mann in zerschlissener grüner Hose und einem Sweatshirt mit der Aufschrift Cincinnati Bengals hob die Hand. Rudolph deutete auf ihn. »Mein Name ist John und ich bin Alkoholiker«, sagte der Mann im BengalsSweatshirt.
    Sam wich hastig von dem Fenster zurück. Sein Gesicht war heiß.
    Jetzt kam er sich nicht nur wie ein Eindringling vor, sondern wie ein Spion. Er ging davon aus, daß sie ihre AATreffen Sonntag nachmittags für gewöhnlich im Gemeinschaftsraum abhielten jedenfalls

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