Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
…«
»Wer ist Lea?«
Sie zwang sich, trotz der Schmerzen deutlich zu sprechen. »Leer. Die Waffe war leer.«
»Scheiße.« Graham rannte zur Tür, doch sein Pickup schlitterte bereits die Straße hinunter und verschwand außer Sicht.
Brynn richtete sich auf, als ganz in der Nähe eine leise Stimme erklang: »Könnte jemand …?«
Brynn und Graham drehten sich zur Küchentür um, wo Anna stand. Ihre Hände waren voller Blut.
»Bitte, könnte jemand … Seht nur. Seht euch das an.«
Und sie sackte in sich zusammen.
81
Reihen orangefarbener Plastikstühle in der Ecke des hell erleuchteten Raumes. Wände und Fliesen verschrammt.
Graham saß gegenüber von Brynn. Ihre Knie waren sich nah, berührten sich jedoch nicht. Ihre Blicke waren meistens auf das Linoleum gerichtet, und sie hoben nur hin und wieder die Köpfe, wenn die Doppeltür aufschwang. Doch die Ärzte und Angestellten, die zum Vorschein kamen, waren mit Dingen beschäftigt, die nichts mit dem Kampf um Anna McKenzies Leben zu tun hatten.
Brynn verschränkte die Hände und starrte ihren unberührten Kaffee an.
Krank vor Entsetzen, krank vor Erschöpfung.
Ihr Telefon vibrierte. Sie schaute auf das Display und drückte den Anrufer weg. Nicht wegen des Verbotsschilds, das an der Wand hing, sondern weil sie das Gespräch nicht annehmen wollte.
Ein Patient kam vom Aufnahmeschalter in den Wartebereich herüber und setzte sich. Drückte seinen Arm und zuckte zusammen. Er schaute einmal kurz zu Brynn und verfiel dann wieder in seine reglos stumme Wartehaltung.
»Schon eine Stunde«, sagte Graham.
»Fast.«
»Ganz schön lange. Aber das muss nicht unbedingt was Schlimmes bedeuten.«
»Nein.«
Wieder Schweigen, unterbrochen von rätselhaften Durchsagen aus der Lautsprecheranlage des Krankenhauses. Dann vibrierte wieder Brynns Telefon. Dieses Gespräch nahm sie an. »Tom.«
»Brynn, wie geht es Ihrer Mutter?«
»Das wissen wir noch nicht. Was gibt’s Neues?«
»Okay. Michelle ist irgendwie durch die Straßensperren gekommen. Der Wagen Ihres Mannes wurde noch nicht gefunden.«
Brynn beugte sich vor und drückte die verletzte Wange, als wäre der Schmerz eine Art Ausgleich für ihre Fehleinschätzung.
»Sie hatten recht«, fuhr Dahl fort. »Wir haben die Freundin gefunden, die heute früh aus Chicago hergekommen ist. Außer ihr wurde kein weiterer Besucher erwartet. Wir nehmen an, dass Michelle eine Auftragsmörderin ist.«
»Die von Mankewitz oder einem seiner Leute angeheuert wurde.«
»Vermutlich«, sagte Dahl.
»Demnach sollten Hart und Comp als Bauernopfer enden.«
»Als was?«
»Als Bauernopfer … Michelle wollte es so aussehen lassen, als wären sie die einzigen Killer gewesen und nach der Ermordung der Feldmans in tödlichen Streit geraten. Damit wir nicht weiter nachforschen würden. Aber es ging schief. Vielleicht hat Hart zu schnell reagiert oder Michelles Waffe hatte Ladehemmung, wer weiß? Sie musste fliehen. Dann bin ich im Wald auf sie gestoßen.« Brynn kniff sich in den Nasenrücken und lachte verbittert auf. »Und habe sie gerettet.«
Ein anderer Arzt kam durch die Doppeltür. Brynn hielt inne. Der Mann in der blauen OP-Kleidung ging weiter.
Brynn dachte an den Blick, den Hart und die junge Frau an der Interstate ausgetauscht hatten.
Das war knapp, Michelle. Wirklich knapp …
Nun, da Brynn die Wahrheit kannte, erhielten Harts Worte eine ganz neue Bedeutung.
Und sie erinnerte sich an Michelles erschrockene Reaktion auf die Neuigkeit, dass Brynn in dem Wagen der Meth-Kocher
mit Hart geredet hatte. Die Frau musste befürchtet haben, dass Hart ihre wahre Identität preisgegeben hatte.
»Wahrscheinlich sollte einer von Mankewitz’ Leuten sie abholen, wenn alles vorbei war. Verdammt, das muss der Kerl gewesen sein, der auf uns geschossen hat, als wir auf dieser Klippe waren.«
Brynn wusste, dass Graham sie anstarrte und dem Gespräch folgte.
»Michelle brauchte die Beweismittel, die ich mitgenommen hatte - die Waffen und Magazine, die Landkarte, die Patronenschachteln«, fuhr sie fort. »Und ihre Handtasche. Deshalb war sie sofort bereit, uns nach Hause zu begleiten. Auf irgendwas davon waren vermutlich ihre Fingerabdrücke. Oder Partikelspuren, die uns zu ihr führen könnten. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, Hart und seinen Freund am Lake Mondac zu töten und dann alles einzusammeln … Moment mal, Tom. Was ist mit ihren Schuhen? Ein Paar Frauenstiefel am Haus der Feldmans. Bei dem Mercedes. Gab es daran
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