Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
irgendwelche Abdrücke?«
»Die Schuhe haben wir sichergestellt. Aber Spuren gab es keine.«
»Keine?«
»Es sieht so aus, als seien sie abgewischt worden. Mit Glasreiniger, genau wie der Ford.«
Sie lachte auf. »Das hat sie gemacht, während ich nach dem Kanu gesucht habe…O Mann, hat die mich zum Narren gehalten.« Brynn rieb sich über eine kleine Unebenheit an ihrem wiederhergestellten Unterkiefer, wie so oft, wenn sie nachdenklich oder aufgeregt war. Der Verrat machte ihr schwer zu schaffen. »Auch ich sollte eines werden«, sagte sie dann leise.
»Was?«
»Ein Bauernopfer. Sie hat mich als Köder benutzt. Ihr Knöchel war gar nicht verstaucht. Sie hat absichtlich das Tempo verlangsamt, um die Männer aufschließen zu lassen. Und sie hat immer wieder versucht, sie in unsere Richtung zu locken.
Sie hat das Fenster des Mercedes eingeschlagen, um die Alarmanlage auszulösen - wahrscheinlich als die Männer gerade zur Landstraße aufbrechen wollten, um dort nach uns zu suchen. Und sie hat sich ewig geziert, die anderen Stiefel anzuziehen. Sie wollte Zeit schinden, damit die Männer die Verfolgung aufnehmen konnten. Wer weiß, was noch? Sie hatte eine Tüte Kekse. Ich wette, sie hat einige davon fallen lassen.« Brynn lachte verbittert auf und schüttelte den Kopf. »Einmal bekam sie einen hysterischen Anfall und hat geschrien wie eine Verrückte. Damit die Männer wissen würden, wo wir sind. Sie hat nur darauf gewartet, dass sie uns einholen würden. Dann wollte sie die beiden im Wald erschießen. Und mich auch.«
»Tja, Brynn, aber warum hat sie Sie denn - Sie wissen schon - nicht gleich erschossen?«, fragte Dahl.
»Vielleicht hat sie mich als Rückversicherung gebraucht oder als Pfadfinderin, um ihr aus der Wildnis zu helfen … Ich nehme an, sie wollte zunächst mal, dass ich ihr bei der Beseitigung von Hart und Comp behilflich bin.«
Sie sah, dass Graham ganz still geworden war. Er biss die Zähne zusammen und hatte die großen Hände verschränkt.
Brynn sagte zu Tom, sie müsse nun Schluss machen, und bat ihn, sich bei ihr zu melden, sobald es irgendwelche neuen Erkenntnisse gab.
Sie trennte die Verbindung und wandte sich ihrem Mann zu, um ihm in groben Zügen den Ablauf der letzten Nacht zu schildern. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. »Schon in Ordnung«, fiel er ihr ins Wort. »Ich habe genug gehört.«
Sie berührte sein Bein. Er reagierte nicht. Nach einigen Minuten nahm sie die Hand weg und rief die Nachbarin an, die sich um Joey kümmerte. Sie sprach kurz mit ihrem Sohn und sagte ihm die Wahrheit - dass sie noch nichts Genaueres über den Zustand seiner Großmutter wussten. Dann ließ sie ihn von einem Videospiel erzählen, das er gespielt hatte. Brynn sagte, sie habe ihn lieb, und beendete das Gespräch.
Das Ehepaar saß schweigend da. Brynn schaute einmal kurz zu ihrem Mann und dann wieder zu Boden. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, legte er ihr eine Hand aufs Knie. So harrten sie reglos eine Weile aus - bis wieder ein Arzt aus der Doppeltür zum Vorschein kam. Er musterte den Mann mit dem verletzten Arm und ging dann genau auf Brynn und Graham zu.
82
Terry Hart schaffte sich den gestohlenen Wagen vom Hals.
Er erledigte das so effizient wie möglich und stellte das Fahrzeug in einem der ärmeren Viertel Milwaukees ab, mit verriegelten Türen, aber dem Schlüssel im Zündschloss. Manche der Kids würden es gar nicht bemerken, andere schon, es jedoch für eine Falle halten, und wieder andere in dieser teilweise sanierten Gegend würden es bemerken und das Richtige tun, indem sie die Limousine ignorierten.
Dennoch würde der Wagen nach einer Stunde nicht mehr dort stehen. Und nach zwölf Stunden in Einzelteile zerlegt sein.
Hart entfernte sich eilig mit gesenktem Kopf. Er war erschöpft und hatte Schmerzen, sowohl wegen seiner Schussverletzung als auch wegen der traumatischen Erlebnisse der letzten Nacht. Es war ein kühler Morgen, der Himmel klar. Auf manchen der Baustellen brannten Abfallfeuer; der beißende Geruch stieg Hart in die Nase. Sein Instinkt behielt weiterhin die Oberhand und führte ihn so schnell wie möglich zu einem Versteck.
Auf den Straßen war kaum etwas los. Hart erreichte das
Brewline Hotel, das ungeachtet seines Namens fernab des Brauereiviertels lag. Die Zimmer hier wurden meistens pro Stunde oder pro Woche gemietet, selten tageweise. Hart zahlte für eine Woche im Voraus, mit Aufschlag für ein eigenes Badezimmer. Man händigte ihm eine
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