Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Problem. Weißt du noch, wie ich zu dir gesagt habe, du sollst nie deine Zimmertür verriegeln?«
»Ja.«
»Nun, heute ist eine Ausnahme. Ich möchte, dass du deine Tür abschließt und niemandem öffnest, nur Graham oder mir.«
»Mom, du siehst so seltsam aus. Ich habe Angst.«
»Es wird alles gut. Mach einfach, was ich dir sage.«
»Ja. Aber was …?«
»Mach es einfach.«
Brynn schloss die Tür und eilte so leise wie möglich die Treppe hinunter. Sie wollte zu den einzigen Waffen in Reichweite gelangen: den Pistolen, die in ihren Beweismitteltüten in Grahams Pickup eingeschlossen waren.
Auf der vorletzten Stufe hielt Brynn inne. Die Badezimmertür stand offen. Michelle war nirgendwo zu sehen.
Zum Wagen laufen oder nicht?
»Der Tee ist gleich fertig«, rief Anna.
Brynn trat auf den Erdgeschossflur.
Im selben Moment kam Michelle durch den Bogengang in knapp anderthalb Metern Entfernung. Sie hatte eine kleine schwarze Automatikpistole in der Hand. Eine Glock 26, auch als Baby-Glock bekannt.
Die beiden Frauen sahen sich an.
Michelle wirbelte herum. Brynn riss ein großes gerahmtes Familienfoto von der Wand und schleuderte es nach ihr. Es verfehlte sein Ziel, doch während Michelle sich duckte, sprang Brynn vor. Die Frauen prallten ächzend aufeinander. Brynn packte Michelles rechtes Handgelenk und vergrub ihre kurzen Fingernägel so fest wie möglich in der Haut der Frau.
Michelle schrie auf und hieb mit ihrer freien Hand gegen Brynns Kopf.
Ein Schuss ging los. Michelle drückte die Waffe weiter auf den Körper der Gegnerin zu. Noch drei Schüsse folgten. Keiner traf.
Anna schrie und rief nach Graham.
Brynn schlug Michelle eine Faust ins Gesicht. Die stöhnte auf, und Speichel flog. Michelles Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich. Sie trat Brynn in den Unterleib und stieß ihr einen Ellbogen in den
Bauch. Doch Brynn ließ die Waffe einfach nicht los. Die Wut nach dieser schrecklichen Nacht, zusätzlich angefacht durch den Verrat der jungen Frau - und Brynns eigene Leichtgläubigkeit -, loderte in ihr. Sie schlug und trat und knurrte wieder wie eine Wölfin.
Die Frauen rangen miteinander, stießen Möbelstücke um. Michelle kämpfte wie wild - und nichts mehr erinnerte an die hilflose Dilettantin mit den Tausend-Dollar-Stiefeln. Sie wollte um jeden Preis überleben.
Die Pistole feuerte erneut. Dann noch einige Male. Brynn zählte mit. Das Magazin einer Baby-Glock fasste zehn Patronen.
Noch ein Knall - und die Waffe war leer. Der Schlitten blieb automatisch in rückwärtiger Position arretiert und erwartete den Einschub eines neuen Magazins. Die Frauen stürzten zu Boden. Brynn hieb auf den Kopf der Gegnerin ein, zielte auf die Kehle. Michelle wehrte sich jedoch genauso entschlossen - mit ihren im Fitnesscenter trainierten Muskeln, sofern dieser Teil der Geschichte stimmte, und gestärkt durch pure Verzweiflung.
Dennoch hatte Brynn nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie diese Frau aufhalten und notfalls töten würde. Sie kämpfte mit Händen, Zähnen und Füßen, war reine animalische Wut.
Sie hätten mich töten sollen …
Tja, dieser Fehler wird mir kein zweites Mal unterlaufen.
Ihre Finger legten sich um Michelles Kehle.
»Herrje, Brynn …« Ein Mann rannte zur Tür herein, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Brynn, es wäre Hart. Als ihr klar wurde, dass es Graham war, hatte die Ablenkung bereits Wirkung gezeigt. Michelle kam frei und hämmerte die Pistole gegen Brynns verletzte Wange. Der Schmerz war dermaßen heftig, dass ihre Sicht verschwamm und sie würgen musste.
Michelle drückte den kleinen Knopf an der Seite des Laufs und ließ den Schlitten nach vorn schnellen. Obwohl die Pistole leer war, sah sie nun geladen und schussbereit aus. Michelle zielte auf Graham. »Der Schlüssel. Für den Pickup.«
»Was haben Sie …? Was?«
»Lea, Lea«, murmelte Brynn, die eine Hand an die Wange gepresst hatte und mit der anderen vergeblich nach Michelle schlug.
»Ich töte sie.« Sie hielt Brynn die Mündung an den Hals. »Her mit dem verdammten Schlüssel!«
»Nein, nein! Hier, nehmen Sie ihn. Bitte! Gehen Sie einfach!«
»Lea!«
Michelle schnappte sich den Schlüssel und lief nach draußen.
Graham fiel auf die Knie, zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte den Notruf. Er wollte Brynn umarmen, aber sie stieß ihn weg und rappelte sich auf. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie musste sich am Treppengeländer festhalten. »Lea
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