Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
mitgeteilt?«
»Unglücklicherweise sind diese Dokumente …«
»Die Unterlagen waren gestohlen.«
»Nun, lassen Sie uns einfach sagen, sie wären vor Gericht nicht zulässig. Die Situation ist die folgende: Da ich nie irgendwelche illegalen Papiere verkauft habe, gibt es auch keine entsprechenden Beweise. Also wird man die Vorwürfe irgendwann fallen lassen. Doch Gerüchte können ebenso verheerend sein wie ein Schuldspruch. Das ist es, worauf Great Lakes Containers und die anderen gewerkschaftlich organisierten Betriebe
hoffen - dass sie meinen Ruf in den Schmutz ziehen und die Gewerkschaft ruinieren können. Daher muss ich möglichst viele dieser Gerüchte widerlegen. Und ganz oben auf meiner Liste steht, Sie davon zu überzeugen, dass ich mit der Ermordung Emma Feldmans nichts zu tun hatte.«
»Auf der Polizeischule bringt man uns bei, einem Verdächtigen, der seine Unschuld beteuert, nicht einfach zu glauben.«
Mankewitz schob die Kaffeetasse weg. »Deputy McKenzie, ich weiß von dem Schuss vor sieben Jahren.«
Brynn erstarrte.
»Auf Ihren Mann.« Er sah zu Jasons, der hinzufügte: »Keith Marshall.«
»Im offiziellen Bericht steht, der Schuss habe sich versehentlich gelöst«, fuhr Mankewitz fort. »Doch alle haben geglaubt, Sie hätten auf ihn geschossen, weil er mal wieder auf Sie losgegangen ist. Wie damals, als er Ihnen den Kiefer gebrochen hat. Er hat nur überlebt, weil er seine Schutzweste trug. Und er hat selbst ausgesagt, es sei ein Unfall gewesen.«
»Hören Sie …«
»Aber ich kenne die Wahrheit. Ich weiß, dass nicht Sie auf Keith geschossen haben, sondern Ihr Sohn, der Sie retten wollte.«
Nein, nein … Brynns Hände zitterten.
Er nickte Jasons erneut zu. Der Mann brachte eine Mappe zum Vorschein. Sie war alt und abgewetzt. Brynn warf einen Blick darauf. Aus dem Archiv der Schulbehörde von Kennesha County.
»Was ist das?«, fragte sie atemlos.
Mankewitz wies auf einen Namen, der auf dem Umschlag stand. Dr. R. Germain .
Brynn benötigte einen Moment, um sich zu erinnern. Der Mann war in der dritten Klasse Joeys Therapeut gewesen. Joey hatte Schulprobleme gehabt - wegen seiner Aggressivität und der Weigerung, Hausaufgaben zu machen. Daraufhin war er
mehrmals in der Woche zu Dr. Germain gegangen. Letztlich hatte das alles nur zu einer weiteren seelischen Erschütterung geführt, denn der Psychologe war am Abend nach einer der Sitzungen an einem schweren Herzinfarkt gestorben.
»Woher haben Sie das?« Ohne auf eine Antwort zu warten, klappte sie die Mappe mit schweißnassen Händen auf.
O mein Gott …
Sie hatten angenommen, dass Joey, der zum Zeitpunkt des Schusses erst fünf Jahre alt gewesen war, längst vergessen oder verdrängt hatte, wie seine Eltern sich an jenem schrecklichen Abend gestritten hatten und in der Küche handgreiflich geworden waren. Der Junge war schreiend zu ihnen gerannt. Keith hatte ihn weggestoßen und ausgeholt, um Brynn aufs Neue ins Gesicht zu schlagen.
Joey hatte ihr die Pistole aus dem Gürtelholster gerissen und seinen Vater mitten in die Brust geschossen.
Sie ließen alle verfügbaren Beziehungen spielen. Brynn behauptete, sie habe den Schuss versehentlich abgegeben, was allein schon ausreichte, um beinahe ihre Karriere zu beenden. Alle glaubten, sie hätte absichtlich auf Keith geschossen, der für seinen Jähzorn berüchtigt war. Aber niemand verdächtigte Joey.
Wie sie nun aus der Akte erfuhr, hatte der Junge Dr. Germain glaubhaft und umfassend geschildert, was an jenem Abend passiert war. Brynn hatte keine Ahnung gehabt, dass Joey sich noch so deutlich an alles erinnern konnte. Anscheinend hatte ihn nur eines davor bewahrt, in eine Pflegefamilie zu kommen: dass Germain gestorben und die Akte ungelesen im Archiv verschwunden war. Und Brynn und Keith war erspart geblieben, im Zuge einer Hexenjagd juristisch belangt zu werden, weil sie das Kind durch den leichtfertigen Zugang zu der Waffe gefährdet hatten.
»Das FBI und die hiesige Polizei hätten diese Akte beinahe aufgestöbert«, fügte Mankewitz hinzu.
»Was? Warum?«
»Weil man will, dass Sie Ihre Ermittlungen einstellen. Die anderen wollen mich drankriegen. Sie hingegen versuchen herauszufinden, was wirklich am Lake Mondac geschehen ist.«
»Man hat Ihr gesamtes Leben durchleuchtet«, sagte der Assistent. »Und mit dieser Akte würde man Sie in Misskredit bringen. Oder Sie sogar vor Gericht stellen. Sie und jeden anderen, der bei der Vertuschung der Geschichte mitgewirkt hat.«
Ihr
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