Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Unterkiefer zitterte so stark wie in jener Nacht, als sie aus dem eisigen Wasser des Lake Mondac geklettert war.
Die würden ihr ihren Sohn wegnehmen … Ihre berufliche Laufbahn wäre vorbei. Auch Tom Dahl würde ins Fadenkreuz geraten, weil er der Sache Vorschub geleistet hatte. Und außer ihm noch einige Beamte der Staatspolizei.
Mankewitz sah sie an. Ihr standen Tränen in den Augen. »He, keine Sorge.«
Sie hob den Kopf. Er tippte mit seinem dicken Zeigefinger auf die Mappe. »Mr. Jasons hier versichert mir, dass dies das einzige Exemplar ist. Es wurden keine Kopien angefertigt. Niemand außer Ihnen, Keith und Ihrem Sohn weiß, was an dem Abend passiert ist.«
»Doch, Sie wissen es nun auch«, murmelte sie.
»Ich habe mit dieser Akte nur eines vor, nämlich sie Ihnen zu geben.«
»Was?«
»Schreddern Sie sie. Nein. Machen Sie es so wie ich. Schreddern Sie sie, und dann verbrennen Sie sie.«
»Sie wollen nicht …?«
»Deputy McKenzie, ich bin nicht hier, um Sie zu erpressen oder Sie zu nötigen, die Ermittlungen einzustellen. Ich überlasse Ihnen diese Akte als Beweis meines guten Willens. Ich bin unschuldig. Ich möchte nicht, dass Sie Ihre Nachforschungen aufgeben. Ich möchte, dass Sie so lange weitermachen, bis Sie herausfinden, wer in Wahrheit für die Morde verantwortlich ist.«
Brynn umklammerte die Mappe. Der Pappumschlag kam ihr
fast radioaktiv vor. Sie schob ihn in ihren Rucksack. »Danke.« Mit zitternder Hand trank sie etwas Limonade. Und sie überdachte, was Mankewitz ihr erzählt hatte. »Aber wer wollte denn dann Emma Feldmans Tod? Was könnte das Motiv sein? Niemand sonst scheint eines zu haben.«
»Hat man denn überhaupt nach einem gesucht ?«
Stimmt, räumte sie ein. Alle waren von vornherein davon ausgegangen, dass Mankewitz hinter den Verbrechen steckte.
Der Gewerkschaftsboss wandte den Blick ab. Seine Schultern sackten herab. »Wir hatten bislang leider auch keinen Erfolg, obwohl Emma noch an anderen Fällen gearbeitet hat, die heikel genug gewesen sein könnten, um ihre Ermordung in Auftrag zu geben. Eines war eine Treuhand- und Nachlassangelegenheit. Für diesen Abgeordneten, der sich umgebracht hat.«
Brynn erinnerte sich an die Geschichte. Der Mann hatte versucht, seine Frau und die Kinder testamentarisch auszuschließen und all sein Geld einem zweiundzwanzigjährigen Callboy zu vermachen. Die Medien bekamen Wind davon, und der Politiker nahm sich das Leben.
»Und noch ein weiterer ihrer Fälle war merkwürdig«, fuhr der Gewerkschaftsboss fort und schaute zu Jasons, der anscheinend der König der Informationen und Quellen war.
»Ein Produkthaftungsverfahren im Zusammenhang mit einem neuen Hybridwagen«, sagte der Mann. »Jemand ist durch einen Stromschlag gestorben. Die Familie des Mannes hat Emma Feldmans Mandanten verklagt, eine Firma in Kenosha. Die haben den Generator oder die Elektrik oder so hergestellt. Emma hat hart an der Sache gearbeitet, aber dann wurde das Mandat zurückgezogen, und niemand hat mehr etwas von der Sache gehört.«
Ein lebensbedrohlicher Fahrzeugdefekt? So etwas hörte man nicht oft. Genau genommen nie. Es ging mit Sicherheit um viel Geld. Hatte Emma etwas herausgefunden, das sie nicht hätte herausfinden sollen?
Vielleicht.
Und Kenosha kam Brynn bekannt vor … Sie musste ihre Notizen der letzten Wochen durchgehen. Die Bitte um einen Rückruf. Jemand interessierte sich für einige von Emma Feldmans Akten. Jemand namens Sheridan.
»Doch wir konnten nichts Konkretes finden«, sagte Mankewitz. »Jetzt liegt es bei Ihnen.« Er bat um die Rechnung, zahlte und wies auf Brynns halb aufgegessene Suppe. »Die habe ich nicht bezahlt. Es könnte falsch aufgefasst werden, Sie wissen schon.« Er zog seinen Mantel an.
Der Mitarbeiter blieb sitzen und holte eine Visitenkarte aus der Tasche. Es standen lediglich ein Name und eine Telefonnummer darauf. Brynn fragte sich, ob der Name echt war. »Falls Sie mich brauchen, falls ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, geben Sie mir bitte Bescheid«, sagte er. »Am anderen Ende meldet sich nur eine Mailbox. Doch ich rufe umgehend zurück.«
Brynn nickte. »Danke«, sagte sie erneut zu beiden Männern und klopfte auf ihren Rucksack.
»Denken Sie über meine Worte nach«, sagte Mankewitz. »Wie es scheint, haben Sie, das FBI und auch sonst jeder bisher am falschen Ort gesucht.«
»Oder nach der falschen Person«, sagte der dünne Mann und nippte an seinem Glas, als wäre die Cola ein edler Wein.
88
Das
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